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in jedem Falle eine Entscheidung zu fällen, und das aus der Gewalten-
teilungslehre fließende Rechtsschöpfungsverbot, das ihn verpflichtet, seine
Entscheidungen ohne eigene schöpferische Zutat immer nur dem Gesetze
zu entnehmen, vertragen sich miteinander nur unter der Voraussetzung,
daß das (Gesetz für jeden denkbaren Fall eine Entscheidung darbietet, der
Voraussetzung seiner Lückenlosigkeit oder Geschlossenheit. Ihren neuerlich
immer zahlreicheren Leugnern stellt DonmaTı die Behauptung entgegen:
notwendige Geschlossenheit jeder Rechtsordnung.
Der Beweis dafür schließt sich an ZITELMANN (Lücken im Recht 1903)
an: mag auch eine Rechtsordnung ausdrücklich nur für eine noch so be-
schränkte Zahl von Tatbeständen die Rechtsfolgen regeln, so ist damit doch,
zugleich stillschweigend auch für alle andern denkbaren Tatbestände etwas
bestimmt: daß hier diese Rechtsfolgen nicht eintreten sollen. Nicht also
vermöge einer „logischen Expansionskraft* (Bergbohm), sondern gerade
umgekehrt vermöge einer logischen Exclusionskraft der Gesetzesvorschriften
ist die Rechtsordnung lückenlos. Jene stillschweigende Bestimmung wäre
nun freilich wegen ihres bloß negativen, Rechtsfolgen lediglich ausschließen-
den Inhalts noch kein Rechtssatz; DomATI behauptet aber, darin über
ZITELMANN hinausgehend, daß sie sich nicht darauf beschränke, bestimmte
Rechtsfolxen auszuschließen, vielmehr die ihnen entgegengesetzten Rechts-
folgen anordne: auferlegen die besonderen Rechtssätze bestimmter Be-
schränkungen, so ergibt für die dadurch nicht betroffenen Fälle jene still-
schweigende Anordnung nicht bloß die Nichtauferlegung dieser Be-
schränkungen, sondern die Erteilung eines Rechts auf Freiheit von ihnen.
BERGBOHMS „reclitsleerer Raum“ ist in Wahrheit von diesen Freiheitsrechten
ausgefüllt. Wird somit jede ausdrückliche Bestimmung über die Rechts-
folgen eines bestimmten Falles notwendig begleitet von einer stillschweigenden
Bestimmung über den Ausschluß dieser Rechtsfolgen für alle übrigen Fälle,
so ist eine Ausdehnung jener Rechtsfolgen auf analoge Fälle unzulässig,
es sei denn, daß durch ausdrückliche Zulassung der Analogie jener still-
schweigenden Bestimmung derogiert wäre: der Ausschluß der Analogie ist
selbstverständliche Regel, ihre Zulassung ausdrücklicher gesetzlicher Be-
stimmung bedürftige Ausnahme — die Gesetzestechnik des heutigen deutschen
Rechts steht freilich auf gerade umgekehrtem Standpunkt, da sie es ja für
überflüssig gehalten hat, im BGB. die Zulässigkeit der Analogie, dagegen
für notwendig im StrGB. den Ausschluß der Analogie zum Ausdruck zu
bringen.
DonArTiı erprobt seine Geschlossenheitstheorie an einer Reihe von gegner-
ischerseits für die Lückenhaftigkeit beigebrachten Beispielen mit einer von
keiner politischen Unmöglichkeit zurückschreckenden Konsequenz. Wem
steht die Krone zu, wenn in einem monarchischen Staate die Herrscher-
familie erlischt? DonArTı antwortet: Niemandem! Der Umstand, daß dann
die Staatsmaschine von Rechtswegen stillstehen müßte, ihre Weiterbewegung