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Die Gegensätze beruhen also auf der einseitigen Betonung,
hier der Form, dort des Inhaltes der Gesetze. Die Frage spitzt
sich also auf die gleichbedeutende zu: ob der gegenzeichnende
Minister die Verantwortlichkeit übernimmt für den materiellen
Teil des Gesetzes, oder lediglich dafür, daß dieses auf dem gesetz-
mäßigen Wege zustande gekommen ist: für den formellen Teil
des Gesetzes °°. Es kann als selbstverständlich bezeichnet werden,
daß das erste Prinzip, als das stärkere, das zweite involviert.
Das erste Prinzip ist am stärksten ausgeprägt in der parla-
mentarischen Regierungsform, und findet auch hier seine Be-
rechtigung. Das Ministerium als der Ausschuß der parlamenta-
rischen Mehrheit übernimmt die politische Verantwortung nicht
nur für den formellen Teil, sondern auch für den materiellen
Teil des Gesetzes. Eine notwendige Folge hiervon ist, daß das
Ministerium keine Existenz-Berechtigung mehr hat, wenn es in
einer Vertrauensfrage nicht von der Mehrheit getragen wird.
Wesentlich anders liegen die Verhältnisse im Deutschen
Reich. Hier ist der Reichskanzler der durch das Vertrauen des
Kaisers berufene und allein durch dieses getragene Reichsminister.
Seine Tätigkeit ist also berechtigt, soweit diese Voraussetzungen
s° Von den zahlreichen Aeußerungen sei nur kurz erwähnt: GEORG
MEYER, der sich für die Gegenzeichnung des Reichskanzlers ausspricht.
weil durch das Gesetz von 1879 die Befugnis, Landesgesetze in den Formen
der Gesetzgebung zu erlassen, überhaupt nicht berührt werden sollte, daß
demgemäß auch keine Aenderung in der Kontrasignatur beabsichtigt und
eingetreten sei. Diese Ansicht bekämpft LABAnD Seite 230, indem er aus-
führt, daß die Frage, ob die Gegenzeichnung des Reichskanzlers zum Gang
der Reichsgesetzgebung gehöre, gänzlich verschieden von der hier zu
lösenden sei, welcher der beiden Reichsminister, der Reichskanzler oder der
Statthalter zu kontrasignieren habe. Nach ihm ist dies keine Frage der
Form, sondern der Zuständigkeit (siehe oben). Aehnlich auch LEoNI
S. 167 ff. Gesondert steht ARNDT, der verlangt, daß die elsaß-lothringische
Landesangelegenheiten regelnden Gesetze sowohl vom Reichskanzler,
als vom Statthalter gegenzuzeichnen seien. Er beruft sich hierfür auf die
Praxis, ohne jedoch ein Beispiel anzuführen, das, in dem hier fraglichen
Falle, die Kontrasignatur beider Reichsminister aufweist.