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Da aber im modernen Staat ein das gemeine Recht durchbre-
chendes Notrecht der Verwaltung nicht haltbar ist, so müßte
man zu dem Ergebnis kommen, daß das für den angegebenen
Fall vom Öberverwaltungsgericht der Polizei zuerkannte Recht
nicht besteht. Man wird aber bei genauerer Untersuchung der
Rechtslage doch nicht zu diesem Ergebnis kommen. Denn jenes
Recht der Polizei beruht gar nicht auf einem Staatsnotrecht in
sensu juris. Staatsnotrecht im Rechtssinne wäre die Befugnis
der Polizei, in Notfällen das Recht zu durchbrechen. Eine solche
Durchbrechung des Rechts liegt aber hier gar nicht vor. Das
preußische Recht hat zwar den Satz ausgebildet: der Eigentümer
ist verpflichtet, sein Eigentum in polizeimäßigem Zustande zu
erhalten. Dieser Satz hat aber lediglich den Sinn, daß das Bi-
gentumsrecht der Polizeigewalt keine Schranke setzt’. Wollte
man aus ihm nach Analogie des „qui suo jure utitur, neminem
laed&t“, eine Freiheit des Eigentümers von jeder weiteren poli-
zeilichen Beschränkung ableiten, so würde man damit vollständig
die rechtliche Stellung der Polizei verkennen. Richtig wäre jene
Folgerung, wenn man das Polizeirecht in der Weise konstruieren
könnte, wie O. MAYER dies tut: Rechtsgrund der Polizeige-
walt ist die allgemeine Untertanenpflicht, Störungen der guten
Ordnung des (emeinwesens zu vermeiden. Diese Konstruktion
ist aber m. E. nicht haltbar’, die Annahme einer derartigen
allgemeinen Pflicht ist ganz willkürlich und entspricht durchaus
nicht den tatsächlichen Verhältnissen 6. Insbesondere aber ist
sie mit dem positiven preußischen Recht nicht vereinbar. Im
positiven preußischen Recht stützt sich die Polizeigewalt nicht
auf eine allgemeine Pflicht der Polizeimäßigkeit der Unter-
® Vgl. dazu den Aufsatz von STIER-SOMLO im Verw.-Arch.
* OÖ. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, 251, 257 ff.
5 K. WOLZENDORFF, Die Grenzen der Polizeigewalt II (Heft 5 der Ar-
beiten a. d. jur.-staatswschl. Seminar in Marburg) $. 89.
® Vgl. JELLINEK im Verw.-Arch V, 31%.