— 245 —
Nur ist nicht zu vergessen, daß in diesem Falle die Zulässig-
keit und die Grenzen des polizeilichen Einschreitens sich nach
den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes abmessen *°. Die Vor-
schriften des bürgerlichen Rechts über Selbsthilfe können, so-
lange sie überhaupt in Betracht kommen, d. h. solange der Schutz
einzelner Privater in Frage steht, nie durch ein öffentlich-recht-
liches Notrecht der Polizei ergänzt und erweitert werden.
Ein polizeiliches Notrecht kann überhaupt nirgends aner-
kannt werden, wo es nicht durch das positive Recht ausdrück-
lich begründet ist. Denn alle Notrechte (Notwehr, Notstands-
recht, Selbsthilfe) sind lediglich Institute des positiven Rechts *°,
Zwar beruhen sie auf gemeinsamer rechtsphilosophischer und na-
turrechtlicher Grundlage, die an sich die Ausdehnung ihrer Gel-
tung auf alle Rechtsgebiete möglich erscheinen läßt. Diese Aus-
dehnung ihrer Geltung müßte jedoch durch das positive Recht
erfolgen, ihre Ableitung einfach und unmittelbar aus dem zu-
grunde liegenden naturrechtlichen Prinzip ist nach der Auffassung
des heutigen Rechts nicht möglich. Gerade unsere Zeit, die be-
ginnt, dem lange von der Rechtswissenschaft geächteten Natur-
recht wieder eine Existenzberechtigung zuzuerkennen, darf deren
Grund und Grenze nicht vergessen: beide liegen ausschließlich
in dem Werte des Naturrechts für die Rechtsbildung. Das Na-
turrecht als solches ist nie positives, geltendes Recht. Vor allem
ist es daher nicht imstande dem positiven Recht zu derogieren,
zur Selbsthilfe gegen den Mieter zusteht, den Beistand zu versagen hat.
OVG. 5. Oktober 1909 (D. JZ. XI) 654).
* Eventuell könnte auch eine negotiorum gestio in Betracht kom-
men (vgl. O. MAYER I, 356, der allerdings nur vom Schutz der Person
spricht), doch müßte auch hier immer das bürgerliche Recht zuständig
bleiben.
* Vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen SCHULTZENSTEINS über
Nothandlungen im Verwaltungsrecht, Verw.-Arch. XVI, 123 fl., insbes. 136
—139.
Archiv des öffentlichen Rechts, XXVII. 2. 17