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des materiellen und geistigen Lebens haben auch nach der Auf-
richtung des Dualismus die Schaffung eines inhaltlich gleichen
Rechts und gemeinsamer Einrichtungen für die Gesamtmonarchie
notwendig gemacht. Da nun ein Oberstaat mit selbständiger
Reichsgesetzgebung fehlte und auch die Einrichtung der Dele-
gationen hiezu nicht oder doch nur in sehr beschränktem Maße
geeignet war, so wurde der Weg der sogenannten paktierten
Gesetzgebung dafür geschaffen’. Die unabhängigen Legislativen
der beiden Staaten erlassen nach vorgängiger Vereinbarung und
Vorbereitung seitens der beiderstaatlichen Regierungen oder be-
sonderer Parlamentsdeputationen jede für ihr Gebiet ein Gesetz,
dessen Inhalt sich mit dem korrespondierenden Gesetz der an-
deren Reichshälfte deckt, so daß dadurch hinsichtlich bestimmter
Verhältnisse ein tatsächlich einheitliches Recht für die ganze
Monarchie, ein Surrogat für wirkliches Reichsrecht entsteht. So-
weit es sich nicht um Gesetze handelt, welche, wie die Aus-
gleichsgesetze von 1867, wesentliche Bestandteile der beider-
seitigen Verfassungen bilden, oder bezüglich deren Geltungsdauer
zwischen beiden Staaten Vertragspflichten bestehen, kann jede
der beiderseitigen Legislativen ihr Gesetz einseitig wieder auf-
heben, ohne daß dadurch die andere Legislative rechtlich zu
einem gleichartigen Vorgange gezwungen wäre. Aber es kann
5 Vgl. $ 36 des österreichischen Ausgleichsgesetzes: „Die Vereinbarung
in betreff jener Gegenstände, welche zwar nicht als gemeinsam behandelt,
jedoch nach gemeinsamen Grundsätzen geregelt werden sollen, erfolgt ent-
weder dadurch, daß die verantwortlichen Ministerien im gemeinschaftlichen
Einvernehmen einen (Gesetzentwurf ausarbeiten und den betreffenden Ver-
tretungskörpern beider Teile zur Beschlußfassung vorlegen und die über-
einstimmenden Bestimmungen beider Vertretungen dem Kaiser zur Sanktion
vorgelegt werden, oder daß die beiden Vertretungskörper jeder aus seiner
Mitte eine gleich große Deputation wählen, welche unter Einflußnahme der
betreffenden Ministerien einen Vorschlag ausarbeiten, welcher Vorschlag
dann durch die Ministerien jedem Vertretungskörper mitgeteilt, von demselben
ordnungsmäßig behandelt und die übereinstimmenden Beschlüsse beider
Vertretungen dem Kaiser zur Sanktion unterbreitet werden.‘
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