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körperschaft gehabt noch dergleichen durch die Okkupation oder
darnach erhalten hat, so kann die Frage nur so gestellt wer-
den, ob dieses Land durch Annexion und Februargesetze zu
selbständiger staatlicher Einheit emporgehoben wurde. Manche
wollen diese Frage bejahen !* und tatsächlich sprechen auch zahl-
reiche, gewichtige Gründe dafür: die beiden ehemaligen türki-
schen Provinzen wurden zu einem einheitlichen Herrschaftsgebiete
der Monarchie umgeschaffen, welches außerhalb der Staats-
grenzen Üesterreichs und Ungarns gelegen, die Grundlage einer
besonderen gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt bildet; das
auf diesem Gebiete ansässige Volk ist durch das Band einer
selbständigen, sowohl von der österreichischen wie auch von der
ungarischen Staatsbürgerschaft grundsätzlich unterschiedenen und
bezüglich Erwerb und Verlust besonders geregelten Landesange-
hörigkeit gebietskörperschaftlich zusammengefaßt. Oesterreichi-
sche und ungarische Untertanen gelten im Lande als Fremde
und umgekehrt die bosnischen Landeskinder als solche in Oester-
reich und Ungarn. Das Verhältnis der Landesangehörigen zu
der über ihnen waltenden Staatsgewalt ist durch den Erlaß
eigener bürgerlicher Grundrechte besonders geregelt. So scheinen
denn für das Neuland die wesentlichen Merkmale eines Staates
vorzuliegen: ein eigenes Gebiet und ein unter einheitlicher Herr-
schaft stehendes, auf dem Gebiete angesiedeltes Volk. Das
Laandesgebiet ist nur bosnisch-herzegowinisches Gebiet, dessen An-
gehörige sind nur Bürger des Lıandes. Auf der besonderen
sozialen und konfessionellen Schichtung der Bevölkerung wurde
ferner ein selbständiges Repräsentativorgan, eine unverantwort-
liche Volksvertretung aufgebaut, durch welche der Gesamtwille
des Landes zum Ausdruck gebracht werden soll. Die Organe
der besonders eingerichteten Gerichtsbarkeit und Verwaltung üben
ihre Funktionen nach eigenen Landesgesetzen aus. Ueber dem
ı# Es sei beispielsweise auf die Einleitung zu GELLERS bosn.-herzeg.
Verfassungsgesetzen (Wien, 1910) S. 11 hingewiesen.
Archiv des öffentlichen Rechts. XXVIN. 2. 21