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richten sollte; gleichzeitig dabei der neu gewonnenen Bevölkerung
die konstitutionelle Mitwirkung an der Rechtsbildung im Lande er-
möglichend. Es ist ebensowenig zu verkennen, daß der neue,
augenscheinlich als Uebergangsstadium gedachte Rechtszustand
als etwas Unfertiges, noch Unentwickeltes erscheint, manche
Widersprüche enthält und in klare, präzise Juristische Kategorien
nicht gefaßt werden kann. Es ist auch zuzugeben, daß der
Weiterbestand des österreichisch-ungarischen Ausgleichswerkes es
hindert, von einem österreichisch-ungarischen Reiche als staat-
liches Rechtssubjekt und in Verbindung damit von einem Reichs-
parlament und Reichsrechte im strengen Sinne zu reden. Aber
trotz aller solcher Erwägungen muß eine unbefangene staats-
rechtliche Betrachtung des gegenständlichen Gesetzeswerkes die
Ueberzeugung hervorrufen, daß hier durch die notwendige Her-
stellung einer starken, zentralistischen, weder Oesterreich noch
Ungarn bevorzugenden Herrschaft im Annexionslande; sodann
durch die Einführung gewisser konstitutioneller Einrichtungen,
ohne dem Lande aber eine Autonomie, geschweige denn staat-
liche Selbständigkeit zu verleihen, eine Herrschaftsordnung be-
sründet wurde, welche dem Dogma des Dualismus nicht mehr
entspricht, welche die Entwicklung einer Reichsgewalt fördern
mußte und welche das bundesstaatliche Element im Rechte der
österreichisch - ungarischen Staatenverbindung wesentlich ver-
stärkt hat.
Damit ist, wie ich glaube, auch der Kreis unserer Erörte-
rungen geschlossen, um die eingangs gestellte Frage beantworten
zu können, nämlich jene, ob die für Bosnien-Herzegowina gege-
benen Grundgesetze vom 17. Februar 1910 die Bezeichnung einer
konstitutionellen Verfassung des Landes verdienen oder nicht.
Diese Frage muß nach allen Richtungen hin verneint werden,
Diese Gesetze gehören dem österreichisch-ungarischen Verfas-
sungsrechte an, welches sie wesentlich umgestaltet haben.