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auch der Praxis Schwierigkeiten bei Beurteilung des Einzelfalls. Eine
Schrift, die, wie die vorliegende, auf 268 Seiten Textes ausschließlich das
Wesen des freien Ermessens und dıe Arten seiner Grenzen erforscht, wırd
daher manchem als eine sehr willkommene Gabe erscheinen; dabei er-
wartet man mit Rücksicht auf den großen Umfang der Arbeit unwillkürlich
ein abschließendes System dogmatischen und kritischen Inhalts oder doch
eine sichere Grundlegung, auf der ohne Gefahr weitergebaut werden kann;
diese Erwartung wird nur teilweise bestätigt.
Verfasser hält es für „unökonomisch ..... ., die Untersuchung auf eine
einzelne Rechtsordnung zu beschränken“ ; vielmehr ist die Abhandlung „dem
Versuche gewidmet, die natürlichen Rechtsgrundsätze über das freie
Ermessen und seine Grenzen als einheitliches Ganze, nicht aber
etwa dem, die Gesetzesanordnungen verschiedener Staaten über diesen
Gegenstand rechtsvergleichend darzustellen‘; S. 13. Der Vorsatz
wird unter reichlicher, wenn auch rhapsodischer, Heranziehung der öster-
reichischen, deutschen, französischen, italienischen, spanischen, amerika-
nischen usw. Literatur, Gesetzgebung und Rechtsprechung in zwei Haupt-
teilen ausgeführt. Im ersten entwickelt Verfasser nach Bekämpfung einer
Anzahl anderer Lehren seine eigene Ansicht über das Wesen des freien
Ermessens. Für ihn ist freies Ermessen gleichbedeutend mit der Wahrung
des öffentlichen Interesses; freies Ermessen liegt nur dann vor, wenn eine
Behörde ermächtigt ist, unbeeinflußt vom Gesetze „nach ihrer eigenen
pflichtmäßigen Ansicht und ihrem eigenen pflichtmäßigen Wollen selbst zu
bestimmen, was der nächste unmittelbare Zweck ihres Handelns sein soll“;
S. 62. Bei der Wahl zwischen mehreren dem gleichen Zwecke dienenden
Mitteln handelt die Behörde nicht frei (8. 63, 34); hier, bei der richter-
lichen Strafzumessung, der im Interesse des Mündels ausgeübten Tätigkeit
des Vormundschaftsrichters, der Prozeßleitung usw. ist das Verhalten der
Behörde durch das Gesetz theoretisch ein deutig vorgezeichnet, wenn auch
die Gesetzesauslegung im Einzelfalle Schwierigkeiten bereiten mag (S. 57
—59). Denn „in prinzipiellem Gegensatz zu allen übrigen vom Gesetze
verwendeten Kategorien“ steht allein die Kategorie des öffentlichen Inter-
esses. „Alle übrigen bedeuten Gebundenheit, diese bedeutet die Negation
jeder Bindung, sie bedeutet die Freiheit der vollziehenden Gewalt von der
Gehorsamspflicht gegen die gesetzgebende“ ; S. 70. Der zweite Hauptteil
gilt der Lehre von den Grenzen des freien Ermessens. Zu seinem Aus-
gangspunkt nimmt Verfasser die französische Theorie vom detournement de
pouvoir, die er durch zahlreiche Beispiele, allerdings nicht ganz frei von
Wiederholungen, zu veranschaulichen und kritisch zu beleuchten sucht, und
kommt zu folgendem Ergebnis: Nach der Natur der Sache ist das freie Ermessen
selbst verwaltungsgerichtlich unüberprüfbar. Das freie Ermessen wird aber
vom Gesetze durch Ausschluß gewisser Zwecke, die nicht verfolgt werden
dürfen, rechtlich eingeschränkt; die Ueberschreitung dieser Schranken führt
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