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nicht als Wille des Gesetzgebers angesehen werden, daß der in
seiner Entscheidung, ob er aussetzen will oder nicht, völlig frei-
gestellte Richter ?°, wenn er von der in $ 148 statuierten Be-
fugnis Gebrauch macht, gebunden sein sollte.
Um dieser richterlichen Unabhängigkeit willen, die allein
eine objektive Beurteilung des konkreten Tatbestandes gewähr-
leistet, ist auch die Bestimmung des $ 286, der die freie Be-
weiswürdigung statuiert, in das Gesetz aufgenommen worden.
Und ebenso erklärt sich $ 14 Ziff. 1 EGzCPO., der dem Straf-
urteil jede bindende Kraft für den Zivilrichter abspricht *!. Im
gleichen Sinne aber müssen auch die so heftig angegriffenen Be-
stimmungen des $ 261 StPO. aufgefaßt werden ®?. Dort heißt
es: „Hängt die Strafbarkeit einer Handlung von der Beurteilung
eines bürgerlichen Rechtsverhältnisses ab, so entscheidet das
Strafgericht auch über dieses...“ Aus dieser Fassung ergibt
sich klar, daß das Gesetz auch dem Strafrichter die Prüfungs-
befugnis des präjudiziellen außerstrafrechtlichen Verhältnisses,
das auch dem Gebiet des öffentlichen Rechts angehören kann °°,
zubilligt. Wenn sich das Reichsgericht a. a. O. S. 393 demgegen-
über auf die Motive beruft, wo — auch von den Kommentatoren
zur StPO. gebilligte — Unterscheidungen gemacht werden, wie-
weit die richterliche Beurteilung sich erstrecken dürfe, so vermag
dieser Hinweis das in 8 261 zum Ausdruck gelangte Prinzip nicht
zu tangieren.
2° cf. GAUPP-STEIN, Konm. z. CPO. 8/9. Aufl. I. 1906, S. 328; SEUFFERT
Komm. z. CPO. 9. Aufl. 04, S, 226 Ia; WETZELL, System des gemeinen Civ.-
Prozeßrechts III. 8 64 N. 40,
?1! Vgl. hierzu RıcH. ScHMIpT, Lehrbuch des Civilprozeßrechtes, 2. Aufl.
1906.
22 Der vom Kammergericht (DJZ. 1908 Spalte 68) angezogene $ 260
scheidet, wie das RG. zutreffend a. a. O. S. 398 betont, aus. Er handelt
nur von der Beweisaufnahme und will lediglich für den Strafprozeß den
Grundsatz von der Erforschung der materiellen Wahrheit proklamieren,
3 cf. LöwE-HELLWEG, Strafprozeßordnung, 12. Aufl. 1907, S. 636, sub
10; RG. XII S. 2.
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