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von einem für die gesamte societe des nations gültigen droit humain, das
m, E. in Wirklichkeit nichts anderes ist, als das — von ROUGIER mit Recht
abgelehnte — Naturrecht und somit keine Existenzberechtigung, verdient
und von der Präponderanz der interdependance des Etats gegenüber der
independance, kommt er zu dem Schluß, daß zwar die einzeln Staaten-
gruppen die Berechtigung besitzen, gegen Ungerechtigkeiten im Innern
eines Staates einzuschreiten, ohne aber dabei zu verkennen, daß in praxi
eine derartige Intervention fast stets aus egoistischen Gründen erfolgt
und in der Regel zur Begründung eines Abhängigkeitsverhältnisses gegen-
über dem Staat führen wird, der als Verletzter der „Humanität“ er-
scheint.
Von weiteren Abhandlungen möchte ich noch erwähnen die Unter-
suchung über die anläßlich des russisch-japanischen Krieges brennend ge-
wordene Frage der Stellung auf dem Kriegsschauplatz befindlicher Militär-
attaches und Journalisten (S. 63—97) die ausführlichen Darstellungen des
durch Schiedsspruchs erledigten Streites zwischen BOLIVIEN und PERU (S. 105
bis 136 Weiss und S. 225—256 FIORE) und des Casablancafalles (S. 326
bis 407 von GIDEL), ferner die Untersuchung Boyps „la republique de
Panama et le droit international“ (S. 614—624),. Schließlich sei noch ver-
wiesen auf die „COhronique des faits internationaux“ und die Sammlung
völkerrechtlich bedeutsamer Dokumente (Anhang S. 1—46), von denen das
französisch-marokkanische Abkommen vom 4. März 1910 besondere Beach-
tung verdient.
Frankfurt a. M. Dr. Karl Strupp.
Freiherr Marschall von Bieberstein: Verantwortlichkeit und
Gegenzeichnung bei Anordnungen des Obersten
Kriegsherrn. Studien zum Deutschen Staatsrecht. Berlin, Vahlen,
1911. XXVIII, 605 Seiten.
Den Unterschied zwischen Armeebefehl und Armeeverordnung zu unter-
suchen, hatte sich der Verfasser zur Aufgabe gestellt. „Verantwortlichkeit
und Gegenzeichnung“ betitelt sich das umfangreiche Werk, in dem er die
Ergebnisse seiner Studien niedergelegt hat. Nur der Eingeweihte erkennt
die Identität des Untersuchungsobjektes. Was den sog. Armeebefehl (AB.)
gegen die Armeeverordnung (AV.) abhebt, sollte nach der dermalen herr-
schenden Terminologie eben gerade der Mangel der Kontrasignaturbedürf-
tigkeit gewisser Willenskundgebungen des Monarchen auf dem Gebiete des
Militärwesens sein. Hätte man einen Preis ausgesetzt für die Erfindung
einer Nomenklatur, welche den zu erfassenden Gegensatz am schlechtesten
zum Ausdruck brächte, — er hätte unzweifelhaft der Gegenüberstellung von
AB. und AV. zugesprochen werden müssen. Sie war geradezu geeignet,
wahre Verheerungen unter den gebräuchlich gewordenen Mitteln der Ver-