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nicht uninteressante Einblicke in die Psyche des jeweiligen Trägers der
Krone und seines jeweiligen verantwortlichen Beraters. Eher schon ver-
möchte das vom Verf. mit erstaunlicher Ausdauer zusammengetragene und
gesichtete Material behufs Gewinnung einer Anschauung über die tatsäch-
liche Handhabung der Gegenzeichnung ermüdend wirken. Aber wer sich
darüber klar ist, daß das Dunkel, in welches das ganze Problem bisher ge-
hüllt gewesen, vor allem deshalb niemals gelichtet zu werden vermochte,
weil noch keiner sich so mühseliger Arbeit hat unterziehen mögen, der
wird dem Verf. aufrichtigen Dank wissen. Gerade das negative Resultat,
zu dem die Durchsicht aller einschlägigen Publikationsorgane geführt hat,
das gänzliche Scheitern jeden Versuches, in diese Handhabung System und
Ordnung zu bringen, mußte zu der Erkenntnis führen, daß man bisher
einem Phantom auf der Spur war.
Nur ein Dokument, an das Theorie und Praxis sich wiean einen rocher
de bronze zu klammern pflegte, ob zwar gerade seine formelle Legiti-
mation hätte in Zweifel gezogen werden müssen, wenn es wirklich so aus-
zulegen war, wie es ausgelegt wurde, vermag auch von der nun gewonnenen
Warte aus der Kritik Stand zu halten. Es ist, als wären diese innersten
Zusammenhänge intuitiv in voller Klarheit erschaut worden, wenn König
Wilhelm unter dem 18. Januar 1861 an seinen Kriegsminister Roon jene
berühmte Kabinetsordre richtete, in der es heißt: „Ich will, daß alle Meine
der Armee bekannt zu machenden Ordres den Charakter des militärischen
Befehls behalten; wobei Ich jedoch ausdrücklich bemerke, daß weder die
Stellung des Kriegsministers, noch verfassungsmäßig bestehende Normen al-
teriert werden“. In zwei lapidaren Sätzen wird das Problem aufgerollt:
dem Heer gegenüber Allerhöchster Kriegsherr, den Ressorts gegenüber kon-
stitutioneller Monarch. Wie ist das Problem zu lösen? Die Antwort lautet:
Armeebefehle, Militärdienstsachen und Personalien sollen stets ohne Kontra-
signatur expediert werden. Alles übrige wird vorher mit Gegenzeichnung
versehen. Aber dieser Gegensatz soll nur nach außen in die Erscheinung
treten. Es wird gleichzeitig dafür gesorgt, daß es dem Kriegsminister nicht
unmöglich gemacht wird, auch für die Erlasse der ersten Gruppe die Ver-
antwortung zu tragen. Soweit sie den Etat berühren, findet eine Gegen-
zeichnung statt; nur bleibt sie nach außen (dem Heer gegenüber) ver-
borgen. Soweit der Etat nicht berührt wird, soll jedenfalls der Minister
von allem rechtzeitig Kenntnis erhalten. — Die Kongruenz mit den vom
Verf. erzielten Resultaten wirkt direkt verblüffend. Und daß wirklich kriegs-
herrlichen Befehlen häufig erst vor der Publikation der Name des Ministers
künstlich entzogen wird, verraten einige bis nahe an die Komik heran-
reichende Versehen, wo dann gelegentlich Deckblätter ausgegeben werden,
bloß um den Ausweis der Verfassungsmäßigkeit der Ordre vor den Blicken
der Truppe zu verbergen, Derartiger anregender Apergus bietet das Buch
eine ganze Anzahl dar.