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während bei jener eine Vorstellung fehlt, welche die Unterlassung der den
Erfolg verursachenden Willensbetätigung ausschlaggebend motiviert hätte;
in Bewertung des Schuldinhabers unterscheiden sich beide dadurch, daß
im Vorsatz die bewußte rechtswidrige Zweckvorstellung eines rechtswidrigen
Erfolges ausschlaggebendes Motiv für eine den vorgestellten Erfolg verur-
sachende Willensbetätigung ist, während in der Fahrlässigkeit die moti-
vierende Zweckvorstellung durch einen unentschuldbaren Irrtum über den
Kausalverlauf motiviert war, welcher auf der Verletzung einer Rechtspflicht
beruhte, deren Beobachtung in dem Täter die Vorstellung der Rechtswidrig-
keit seiner Willensbetätigung hervorgerufen hätte. Aus diesem Schuldbe-
griff ergibt sich fernerhin der Begriff der Zurechnungsfähigkeit als der in
der Motivierbarkeit durch normale Motive enthaltenen Fähigkeit zu recht-
lichem Handeln.
Die Motive der Bestrafung werden gebildet aus dem Zusammenwirken
des obersten Prinzips des Rechts, des Ordnungsmotivs, mit der Persönlich-
keitsidee (Selbstbehauptung der Persönlichkeit an sich und in ihrem Selbst-
bewußtsein) und der Gerechtigkeitsidee. Die Motive des Gesetzgebers er-
scheinen daher — ohne, daß irgend eine der wissenschaftlichen Strafrechts-
theorien von Belang wäre — als die auf jenen drei Motiven basierende
Reaktion des Staates gegen einen Bruch der Rechtsordnung zur Aufrecht-
erhaltung der rechtlichen Ordnung. Dem Grunde nach ist die Strafgewalt
Reaktion gegen Rechtsverletzung, dem Zwecke nach Schutz der Persönlich-
keitsbehauptung, der Intensität nach gerechte Abwägung privaten und
öffentlichen Interesses, welche drei Motive Verfasser in der positiven deutschen
Strafgesetzgebung nachweist. ‘Aus der Bedeutung der Motive des Gesetz-
gebers für den Inhalt des Gesetzes folgt für die Rechtsausübung die For-
derung, daß die ausschlaggebenden Motive des Gesetzgebers im Gesetz so
zum Ausdruck kommen müssen, daß der das Gesetz anwendende Beamte
sie erkennen kann. Da nun das wichtigste allgemeine strafgesetzgeberische
Motiv als Verwirklichung des Ordnungszwecks und der Freiheit der Per-
sönlichkeit nach dem Maßstabe der Gerechtigkeit darin zu bestehen hat,
daß die ausschlaggebenden Motive des Verbrechers zur Tat auch ausschlag-
gebend sein müssen für den Eintritt sowie für Art und Maß der Bestrafung,
so ist es Aufgabe des gesetzanwendenden Beamten, des Richters sowohl
wie des Staatsanwalts und seiner Hilfsorgane, diese beiderseitigen Motive
zu berücksichtigen und abzuwägen. Diese Aufgabe erfordert eine vollstäün-
dige Reproduktion des gesetzgeberischen und des verbrecherischen psychi-
schen Erlebnisses in der Seele des Richters. In diesem psychischen Moment
der Rechtsanwendung liegt zugleich die Bedeutung des Laienelements für
die Rechtsprechung, weil das psychische Erleben des Laien nicht so durch
formale juristische Bedenken gehemmt ist wie das des Berufsrichters und
daher dessen Urteilstätigkeit in wichtiger Beziehung zu ergänzen geeignet
ist. Für die Ausbildung der amtlich zur Rechtsanwendung berufenen Per-