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das juristisch entscheidende überhaupt nicht die Abwägung der einander
gegenüberstehenden Interessen der Einzelnen, sondern das staatliche Interesse
ist, daß also im Grunde gar nicht ein privatrechtliches, sondern ein öffent-
lichrechtliches Rechtsverhältnis vorliegt, das seinerseits erst wieder auf die
privatrechtliche Rechtslage reflektiert. Diese Auffassung würde dem Grund-
gedanken des Verf. entsprechen, daß die Rechtsfolgen des Zwangs ihrem
Wesen nach nur die Reaktion des Staates gegen die in dessen privater
Ausübung liegende Rechtswidrigkeit ist. Sie würde ebenso ihrerseits wie-
der logisch die Grundlage bilden für den weiteren — wie mir scheint recht
beachtenswerten — rechtspolitischen Gedanken des Verf., daß die Duldungs-
pflicht unter sozialen Gesichtspunkten geregelt werden und der Staat in
Bürgenstellung für die Schadensersatzpflicht des in Notstand handelnden
gegenüber den Duldungspflichtigen einrücken müsse. Mit dieser Auffassung
der Duldungspflicht würden wir dann endlich auch dem in der Staatsrechts-
lehre keineswegs mehr neuen Gedanken begegnen, daß die bei Fehlen der
Duldungspflicht einsetzende Abwehrbefugnis sich rechtlich nur als Ausübung
staatlichen Hoheitsrechtes darstelle. Tatsächlich betrachtet ja auch die
heutige Rechtsanwendung durchweg alle Abwehrrechte als Institutionen
des öffentlichen Rechts, indem sie die Vorschriften des bürgerlichen Rechts
über Selbsthilfe als Bestandteil des Strafrechts, also des öffentlichen Rechts
gelten läßt.
Seinen grundlegenden Erörterungen läßt Verf. eine kurze systematische
Untersuchung, auf die wir sogleich zurückkommen werden, über den Zwang
im Völkerrecht und Staatsrecht folgen, um dann eine außerordentlich
weitgreifende rechtsvergleichende Darstellung des Zwangs im Strafrecht zu
geben. Er bespricht das Strafrecht von Deutschland, Oesterreich, Rußland,
England, Frankreich, Schweiz, Holland, Italien, Spanien, Portugal, Däne-
mark, Schweden, Norwegen, Island, Finnland, Bulgarien, Rumänien, Serbien
und Montenegro. (Griechenland und die Türkei hat er von seiner Darstel-
lung ausgeschlossen) Es kommt uns hier nicht zu — wäre auch in so
kurzer Skizze ganz unmöglich — die reiche Fülle des vom Verf. zusammen-
getragenen Materials zu sichten und zu würdigen: sie ist bewunderungs-
würdig, und in diesen Eindruck mischt sich nur ein Gefühl der Beschämung
für den minder gebildeten Leser angesichts der Selbstverständlichkeit, mit
der Verfasser die Kenntnis der Sprachen sämtlicher soeben aufgezählter
Staaten voraussetzt; nur ausnahmsweise fügt er den Originalzitaten eine
Uebersetzung bei. Für die weniger Sprachkundigen sei jedoch ausdrück-
lich hingewiesen auf die interessante Erörteruug der, im letzten Grunde
auch staatsrechtlichen, Frage der Abwägung des öffentlichen Rechtsinteres-
ses und des individuellen Freiheitsinteresses de lege ferenda, die als Kritik
der neuen Entwürfe für die Schweiz, Oesterreich und das deutsche Reich
den Schluß des Werkes bildet.
Die Abschnitte über Völkerrecht und Staatsrecht, die für den Verf.,