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aber auch, daß die Gewährung einer Nichtigkeitsklage für einige
besondere Fälle nicht die Annahme unheilbarer Nichtigkeit für
andere Fälle ausschließt. Und wenn man sich, wie es gerade
in unserer Angelegenheit mehrfach mit pathetischem Nachdrucke
geschehen ist, auf die angeblich das A und O unseres Prozeß-
rechtes bedeutende Rechtskraft des Urteils beruft, so ist das eine
ganz offensichtliche petitio principii. Denn es kommt eben ge-
rade darauf an, ob in Wirklichkeit jeder, auch der mit schwer-
sten Mängeln behaftete Richterakt die Fähigkeit besitzen soll,
die unter dem Namen der Rechtskraft zusammengefaßten Rechts-
wirkungen hervorzubringen.
Daß dies der Sinn unseres geltenden Rechts sein solle, scheint
mir ein vollkommen unerträglicher Gedanke zu sein.
Es wäre in der Tat seltsam, auch für den Bereich des Zivil-
prozesses seltsam, wenn das Gesetz einer Handlung eine für
Parteien, Gerichte und Vollstreckungsorgane schlechthin bindende
Wirkung nur um deswillen beilegen wollte, weil sie sich in der
äußeren Form eines richterlichen Erkenntnisses darstellt. Soll
das Prinzip der „Rechtskraft“ wirklich so weit gehen, daß sie
alles und jedes, auch den frivolsten Scherz und den offenkun-
digen Wahnwitz eines Richters unter ihren Mantel nimmt? Es
wäre das um so erstaunlicher, als damit einem Grundsatze, dem
an sich nur prozessuale Bedeutung zukommt, die Kraft zuge-
schrieben würde, oberste Grundsätze derselben staatlichen Rechts-
ordnung einfach über den Haufen zu werfen. Auch für den
Zivilprozeß muß gelten, was BINDInG für den Strafprozeß gesagt
hat: „Das Prozeßrecht ist maßgebend nur für den Prozeß,
aber nicht allmächtig.* „Die Behauptung des Gegenteils be-
deutet, daß nicht nur die Parteien, denen das Rechtsmittel (der
außerordentlichen Nichtigkeitsbeschwerde) versagt ist, sondern
alle richterlichen und nicht-richterlichen Behörden desselben
Staates, anderer deutscher Staaten, des deutschen Reiches und
fremder Staaten gleichmäßig dem nichtigen Urteile die rechtliche