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und Führer, wie des Volkes selbst legen hierfür Zeugnis ab. Es
handelt sich dabei nicht etwa um eine für Deutschland charak-
teristische Erscheinung, sondern un eine internationale. Auch
das wegen seiner Rechtspflege neuerdings vielgepriesene England
ist nicht auszunehmen; findet sich doch bei Swift eine sehr be-
zeichnende, die englischen Rechtsverhältnisse vor fast zweihundert
Jahren grell beleuchtende Schilderung von Unzufriedenheit mit
Advokatur und Richtertum. Diese historische Tatsache weist
schon auf das Vorhandensein eines inneren, in der Sache selbst
liegenden Grundes für das Mißbehagen so verschieden gearteter
und interessierter Tadler des Juristenstandes hin. „Bei einer
so grenzenlosen Wissenschaft, welche von dem Ansehen so vieler
Meinungen abhängt, und so viel Willkürliches hat, kann es
nicht anders sein, sie muß zu manchem verworrenen Urteil Stoff
und Anlaß geben. Auch gibt es schwerlich einen so klaren
Prozeß, über den die Gutachten nicht verschieden wären “(Mon-
TAIGNE, Essays II, 12). Das die Zeichen der Kompromißnatur
des Rechts an sich tragende Rechtssystem muß bei seiner An-
wendung durch zahlreiche, nach Alter, Lebenserfahrung und
anderen Momenten unter sich verschiedene Köpfe notwendig
Entscheidungen hervorrufen, die zum Gegenstande geteilter An-
sichten werden, zumal unter dem Einflusse unmittelbarer oder
mittelbarer Interessen, wie im Zivilprozeß bei der unterlegenen
Partei, im Strafprozeß mit seinen an Ehre und Leben rührenden
Fragen durch den Gedanken an die hohe Bedeutung dieser für
alle Menschen ausnahmslos gleich wichtigen Güter. Endlich
darf man in unserem Zusammmenhange nicht außer acht lassen,
daß ein Sinken des Ansehens und der Autorität aller gelehrten
Berufe für unsere Zeit bezeichnend ist, eine Erscheinung, die
nur zum Teil in dem Emporsteigen technisch oder kaufmännisch
vorgebildeter Personengruppen ihre Erklärung findet.
Der Stand, dessen Mitglieder das fundamentum regnorum
zu wahren haben, muß jeder Minderung seines Ansehens, jeder