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walts, des Richters und des Verteidigers in derselben Strafsache
beim Vorbringen belastender Momente für den Angeklagten (a.
a. O., S. 26). Nicht immer ist die Lösung des Pflichtenstreits
eine so einfache, wie in dem obigen Beispiel. Allgemeine Grund-
sätze lassen sich hierfür nicht aufstellen. Schon deshalb nicht,
weil rein subjektive Momente, wie die innere Ueberzeugung des
Betreffenden, die wieder von seiner jeweiligen Lebenserfahrung
abhängig ist, auf ihn bestimmend miteinwirken. Richtig ist,
daß unter den juristischen Berufen derjenige des Richters sich
durch eine verhältnismäßig einfache Pflichtenlehre gegenüber
dem des Staatsanwalts und des Advokaten auszeichnet (BENE-
DIKT, a. a. O., S. 22, 47), bei denen sich die innere Ueberzeu-
gung zuweilen den besonderen für die Erhaltung des Staatswohls
notwendigen Pflichten unterordnen muß. Ein System der juri-
stischen Ethik wird daher immer nur die allgemeinen Gesichts-
punkte, die für die Lösung solcher Pflichtenkonflikte maßgebendsind,
darstellen können, ohne für den speziellen Fall die Entscheidung
zu treffen. Damit ist aber der Inhalt einer juristischen Ethik
nicht erschöpft; sie enthält, wie wir sehen werden, weit mehr
als eine Darstellung der Situationen, die solche Pflichtenkonflikte
in sich bergen und darf nicht in den an MoLLs sonst sehr be-
achtlicher Aerztlicher Ethik mit Recht gerügten Fehler der
Kasuistik und des Wegweisens aus solchen Fährlichkeiten ver-
fallen.
Da die juristische Ethik einen speziellen Teil der allge-
mein-menschlichen Ethik darstellt, so bedarf zuvörderst eine bei
ihrer Darstellung sich ergebende Schwierigkeit, die jedoch nur
eine scheinbare ist, der Erörterung. Bekanntlich sind sich die
Philosophen in der Begründung der Ethik d. h. in der Frage
nach dem Ursprung und Wesen der Sittlichkeit durchaus nicht
einig, und die Geschichte der Ethik weist daher eine lange Reihe
von verschiedenen Grundprinzipien oder Fundamenten der Moral
auf. So ist das Grundprinzip der Ethik, von dem unter ande-