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verhältnis hinsichtlich seiner Begründung unter den Begriff eines
öffentlich-rechtlichen Vertrages bringt, es inhaltlich aber als ein
Gewaltsverhältnis faßt, stützt seine Konstruktion auf die Ana-
logie des lehnrechtlichen Gewaltsverhältnisses, welches „ethischer
Natur“ war (Staatsrecht des Deutschen Reiches, 4. Aufl., I, 405).
Der Staat hat aber aus Zweckmäßigkeitsgründen, um das An-
sehen des Standes namentlich auch dem Publikum gegenüber
zu wahren, einen Teil dieser sich aus dem ethischen Treu- und
Gewaltsverhältnis ergebenden Pflichten durch Gebote und Ver-
bote im Wege der Disziplinargesetzgebung sanktioniert und darum
gehören diese Pflichten, die zum Teil fester gesetzlicher Um-
grenzung entbehren und nur in dehnbare Fassung gekleidet sind,
aber immer den spezifischen Charakter ihrer Zugehörigkeit zum
juristischen Berufsstande an sich tragen, in eine Darstellung
seiner Ethik. Denn innerlich, d. h. ihrem Wesen nach wird
an diesen Pflichten durch Unterstellung unter disziplinare Vor-
schriften nichts geändert. Diese im Disziplinarrecht enthaltenen
Vorschriften können nach einer Art von Analogie zu dem eben
erwähnten ethischen Minimum der allgemein-menschlichen Pflich-
ten als das ethische Minimum der besonderen ethischen Pflichten
des juristischen Berufes aufgefaßt werden. So bleibt denn als
ganz und gar dem freien sittlichen Ermessen d. h. dem sittlichen
Gefühl oder sittlichen Takt des einzelnen Juristen überlassener
Rest der juristischen Ethik, die man auch als juristische Tugend-
und Pflichtenlehre bezeichnen kann, dasjenige Verhalten desselben
übrig, welches nicht durch besondere disziplinare staatliche Be-
stimmungen geregelt ist.
Nach verschiedenen Seiten hin bedarf die juristische Ethik
einer Abgrenzung. Zwei sollen näher erörtert werden.
Die juristische Ethik hat, wie die Ethik überhaupt, Berüh-
rungspunkte mit der Weltklugheit, die man auch als einen
Wegweiser des Nützlichen zu einem erfolgreichen Fort-
kommen im Leben, als eine Ethik der Selbstliebe oder des