— 336 —
denken wie wir wollen, so müssen wir uns doch von ihnen leiten lassen,
Der Staat wird gegen das verpönten Maximen entsprechende Handeln reagie-
ren. Ein überaus anschauliches Beispiel der Forderung des Handelns nach ge-
gebenen leitenden Vorstellungen bilden die Strafbestimmungen der Caro-
lina gegen das Laster Sortilegii, Magiae und Zauberei, welche zur Ent-
wicklung einer hochgelehrten Literatur geführt haben, die formale Beweis-
theorie, ein modernes Beispiel die Strafsanktionen gegen gewisse Formen
der Verleugnung der Existenz Gottes, die Annahme der Willensfreiheit im
modernen Strafrecht 3°, die Weisung an die Gerichte, von der Vorstellung
auszugehen, daß Jedermann alle Gesetze bekannt sein müssen?”. So
schreiben uns denn die Auslegungsvorschriften ge-
radezu vor, dem Staate einen vernünftigen, ziel- und zweckbewußten
Willen zuzuschreiben, und die modernen Gesetze lehren, wie viel Schmeichelei
der Staat in diesem Punkte verträgt ®. Das österreichische Vereinsgesetz
vom Jahre 1867 verbietet Vereine mit Zwecken, welche der Rechtsordnung,
somit den Zwecken der Rechtsordnung widerstreben und $ 26 a. b. Gb.
läßt uns als solche Zwecke Verletzungen der Sicherheit der öffentlichen
Ordnung, der guten Sitte erkennen; $ 364 1. c. spricht von den in den Ge-
setzen zur Erhaltung und Beförderung des allgemeinen Wohls vorge-
schriebenen Einrichtungen, $& 365 von der Enteignung durch den Staat,
wenn es das allgemeine Beste erheischt. Dazu kommt noch die dienst-
rechtliche Bestimmung, daß die Staatsbeamten, das Beste des Staates zu
verfolgen oder wie dies Th. II Tit. 10 $ 1 des preußischen Landrechts sagt,
die Sicherheit, die gute Ordnung und den Wohlstand des Staates zu unter-
3 Vgl. auch die Vorstellungsnormen: Quod quis per aliam fecit, ipse
fecisse videtur, res judicata pro veritate habetur, nasciturus pro jam nato
habetur (richtiger habetor) usw.
27 So ungeheuerlich diese Zumutung ist, so wird sie aufrecht erhalten
werden, so lange keine humanere Konstruktion gelungen sein wird, die
ihre Zwecke zu erfüllen vermag. Wenn man übrigens an den Konventiona-
lismus denkt, durch welchen mittels der dem Staate zuzurechnenden Praxis
des englischen Parlaments als Gerichtes kodifiziertes Recht zwar nicht auf-
gehoben, aber für die Dauer der Praxis kalt oder zur Disposition gestellt
wird, dann an die bedeutsame konstruktive Tätigkeit der englischen Ge-
richte (HATsoHEk, Englisches Staatserecht I, S. 103 ff.), des französischen
Staatsrates, der deutschen Verwaltungsgerichte, der Disziplinargerichte, so
entsteht die Frage, ob der moderne Staat wirklich ganz in dem Sinne
Rechtsstaat sei, daß eine Koinzidenz des Aussprechens und der Anwendung
des Rechtssatzes schlechthin ‚ausgeschlossen ist, daß nur nach bestehenden,
präformierten Rechtssätzen geurteilt werden darf ?
ss Obstruktion und passive Resistenz lehren übrigens, welche idiotische
Auslegung selbst vom technischen Standpunkt passable Gesetze vertragen.