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kommt es doch immer auf die technische Brauchbarkeit und Leistungs-
fähigkeit der Rechtsbegriffe an — daß das subjektive Recht als rechtlich
zur Verfügung des Berechtigten stehende Genußmöglichkeit (uti frui licere)
auch im Zustande der auch durch äußere Mittel und Strafnormen bewirkten
Respektierung Recht ist, daß seine Ausübung in der bewußten unbe-
hinderten Betätigung des Rechtsinhalts (animus rem sibi habendi, possi-
dendi, domini) besteht, daß sich nach diesem Rechtsinhalt und nach den
Bürgschaften seiner ungestörten Betätigung sein ökonomischer Wert be-
stimmt und daß es nicht der Verletzung bedarf, um seinen Bestand sinn-
fällig zu machen. Ich übe z. B. mein Wahlrecht nicht bloß durch Rekla-
mation, sondern auch durch unbehinderte Abgabe meines Stimmzettels, so-
wie ich mein Eigentum an meinem Acker dadurch übe, daß ich ihn im
Bewußtsein meines Eigentums bebaue und über seine Ernte verfüge.
Wenn aber KELsrn die Einheit zwischen Rechtssatz, subjektiver Pflicht
und subjektivem Recht dadurch herstellt, daß er die beiden als Relationen
des Rechtssatzes zum Subjekte erklärt, so muß gerade im Hinblick auf den
Aufbau seiner Theorie auf der Idee des Rechtsstaates befremden, daß er
die Freiheitsrechte leugnet, da doch das moderne Recht die Geltend-
machung der in den Rechtssätzen über die Grundrechte gelegenen Hinde-
rungs- und Zurücksetzungsverbote dem Berechtigten durch die modernen
Rechtsmittel zur Verfügung stellt, die es ihm ermöglichen, sogar die ein-
zelnen in der Sachherrschaft und in der persönlichen Freiheit, in seinem
Anteil am Staate gelegenen Befugnisse in judicium zu ziehen, wie z. B.
ob er berechtigt sei, seine lautschlagenden Nachtigallen zur nacht-
schlafenden Zeit zum offenen Fenster hinauszuhängen 5?, Tanzunterhaltungen
in seiner Wohnung abzubalten, ob und innerhalb welcher Grenzen ihm
verwehrt werden könne, als Ortsschulrat den Schulunterricht zu kontro!-
lieren 53.
KELSEN übersieht, daß die patrimoniale oder individualrechtliche Vor-
stellung von der Beziehung des Individuums zur Freiheit % und Sachherr-
52 Eirk, des österr. Verwaltungsgerichtshofs vom 7525 A. Die Praxis
kehrt sich nicht an die Persiflage der Pandektenliteratur. Jenes Rechts-
schutzbedürfnis, das UNGER a. a. O., S. 497, A. 30 für die Epoche des
Polizeistaates anerkennt, besteht fort, weil der Polizeistaat fortbesteht. Vgl.
auch STOERK a. a. O., 8. 1421.
58 Sammlung der Erkenntnisse des VGH. Nr. 5961 A.
5 Vgl. das Mandat Maximilian I. an Lienhart Grafen von Görz
vom 11. September 1494 wegen Freilassung des Michel Aderstorfer und
Verfolgung seines Anspruches im Wege Rechtens. Es wird ihm aufgegeben,
Recht zu suchen vor dem Kaiser als seinem ordentlichen Richter und natür-
lichen Herrn, dadurch, uns aus Koniclicher würde von.ambts wegen
80 unns umb recht und hilf des rechtens anruffen, unser koniclich hilf mit