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als Lehrer, über der Vorliebe für theoretische Systeme und abstrakt wissen-
schaftliche Fragen vernachlässigen sie die praktischen Lebensfragen und
die Kunst der zweckmäßigen Anwendung des Rechts; ihre Vorlesungen
passen mehr für künftige Dozenten und Schriftsteller als für die aus
künftigen Richtern und Rechtsanwälten bestehende Mehrzahl der Zuhörer.
Um diesem Uebelstand zu begegnen, ist in den letzten 15 Jahren auf den
deutschen Universitäten die Abhaltung von exegetischen und praktischen
Uebungen zu einem notwendigen Bestandteil des juristischen Unterrichts
neben den herkömmlichen Vorlesungen gemacht worden. Diese Neuerung
soll auch von gutem Erfolge begleitet sein. Auch an weiteren Reform-
vorschlägen hat es nicht gefehli; ibren umfassendsten Ausdruck haben sie
in der im Jahre 1909 veröflentlichten Schrift von Professor ERNST ZITTEL-
MANN in Bonn über „Die Vorbildung der Juristen“ gefunden. Hier wird
folgender Bildungsgang vorgeschlagen: nach der Reifeprüfung soll ein
Universitätsstudium von drei Semestern einsetzen, der Einführung in die
gesamte Rechts- und Staatswissenschaft gewidmet mit dem Abschluß durch
das Referendarsexamen, das sicb auf Fragen allgemeinen Wissens im
Rahmen der einführenden Vorlesungen beschränken müßte. Hierauf folgt
eine zweijährige für Justiz- und Verwaltungsbeamte gleicherweise erforderte
Vorbereitungspraxis, die demgemäß einen halbjährigen Verwaltungsdienst
einschließen soll. Dann kehrt der Referendar an die Universität zurück,
um erst jetzt das eigentliche Studium der einzelnen Disziplinen zu beginnen,
wofür fünf Semester vorgesehen sind. Das letzte Stadium der Vorbildung
bildet ein einjähriger praktischer Vorbereitungsdienst, der getrennt für
künftige Justiz- und Verwaltungsbeamte abzuleisten ist und mit dem
Assessor-Examen abgeschlossen wird. Der zweite preußische
Richtertag hat bei seinem Zusammentritt in Berlin am 17. Mai 1910
übereinstimmend die jetzige Ausbildung an den Universitäten als unzu-
reichend und reformbedürftig anerkannt und neben der Ausdehnung des
Universitätsstudiums auf 3V/s Jahre einmal die methodische Einteilung des
Universitätsunterrichts in eine grundlegende Unterstufe und eine Oberstufe,
von welchen die erstere mit einem Zwischenexamen (frühestens nach dem
dritten Semester) abschließen soll und zweitens von Anfang an fortlaufende
Berücksichtigung der praktischen Zwecke des Rechts durch den Rechts-
unterricht verlangt. Diesen Reformvorschlägen gegenüber nimmt der Ver-
fasser der vorliegenden Schrift, welche zunächst in SEUFFERTS „Blätter für
Rechtsanwendung“ 1910 S. 485 ff veröffentlicht worden ist, einen wesentlich
konservativen Standpunkt ein: er gibt den dagegen vorliegen-
den schweren Bedenken Ausdruck und versucht zu zeigen, daß die altüber-
lieferten propädeutischen Disziplinen unserer Studienordnung noch immer
die Grundlage des modernen Rechtsunterrichts zu bilden vermögen, ver-
langt übrigens, daß dieser Rechtsunterricht ebensowohl den Anforderungen
des Unterrichts überhaupt, wie der praktischen Natur der Rechtswissen-