_ 379 —
Begriffes Bundesstaat verdient die Anerkennung, daß sie vom Standpunkte
der Logik die reinste und bestgelungene ist. Daß dann im weiteren die
Darlegung der rechtlichen Natur des Reiches dieselben Vorzüge besitzt, ist
nicht zu verwundern. In der Darstellung erscheint zwar die rechtliche Natur
des Reichs nur als ein Anwendungsfall des Bundesstaatsbegriffes; bei Kon-
struktion dieses Begriffes selbst lag aber dieser Anwendungsfall schon vor.
Es ist dies der gewöhnliche Werdegang juristischer Konstruktionen. Für
den Begriff Bundesstaat aber bereitete eben die Seltenheit des Ausgangs-
materials, der Tatsache Bundesstaat (Amerika, Schweiz, norddeutscher Bund
und Deutsches Reich), die besondren Schwierigkeiten.
Staat oder Bund? Das war, das ist die Frage. Ist sie heute als
entschieden anzusehen ? Ich glaube nicht! Im Rahmen dieser kurzen Be-
sprechung läßt sich das Für und Wider erschöpfend nicht erörtern. Fest-
steht, daß die Lehre vom Bundesstaat die herrschende ıst und daß damit
in ihrer Anwendung auf das Deutsche Reich ein souveräner Staat, das
Reich, als ein Gebilde gilt, welches aus den nichtsouveränen Staaten
Preußen, Bayern etc. zusammengesetzt und nur deshalb nicht Ein-
heitsstaat ist, weil eben diese Glieder selbst Staaten, wenn auch ohne
Souveränetät, sind. LABAND, zu dessen schönsten wissenschaftlichen Ver-
diensten es zu rechnen ist, daß er dem wissenschaftlichen Gegner, wenn
er nur ebenbürtig war, stets gerecht wurde, hat bekanntlich in SEYDEL,
der den nichtsouveränen Staat nicht gelten ließ, den scharfsinnigsten Gegner
gefunden. SEYDEL verwarf in Konsequenz seiner Staatslehre den Begriff
des Bundesstaates; seinen Ersatzbegriff, den staatsrechtlichen Staatenbund,
nahm LABAND nicht an. LABAND erblickt eben im Bundesstaat, den SEYDENL
als Rechtsbegriff ablehnte, den souveränen, übergeordneten Staat, dem
nichtsouveräne Staaten untertan sind. Somit stehen sich die Meinungen
auch heute noch unvermittelt gegenüber. Und das, worum es sich handelt,
ist und — bleibt der Begriff des nichtsouveränen Staates.
Ihm ist ja inzwischen eine ganze Spezialliteratur gewidmet worden, lauter
Versuche, den deutschen Einzelstaaten, vornehmlich Preußen und Bayern
darzutun, daß sie zwar Staaten, aber nicht souverän sind. Fast scheint es
so, als stünden wir noch nicht am Ende dieser Belehrungen, in denen sich
nit dem juristisch-konstruktiven im Stillen doch auch ein politisch bedeut-
sames Element verbindet, mag es sich nun in der Auffassung von den
„preußischen Nebenländern“ oder von den „bayerischen Sonderrechten‘ oder
von den „souveränen Kleinstaaten“ oder in sonst einer jeweils aktuellen
Einzelfrage an der Oberfläche der Diskussion bewegen.
So klingt denn auch die Frage: Staat oder Bund? wenn sie dem ein-
zelnen vorgelegt wird, nicht nur als eine Frage nach theoretischer Kon-
struktion, sondern oft eher wie eine Frage nach dem innerpolitischen
Glaubensbekenntnis. LaBANnDs Bundesstaat und SEYDELS staatsrechtiicher
Staatenbund sind die Brücken. welche von derselben Vielheit zur selben