— 380 —
Einheit führen, nur sind sie von verschiedenem Material und demgemäß
auch von verschiedener Konstruktion. Man möchte sich diesen doppelten
Weg zum Ziele gern zur Auswahl offenhalten, wenn nur wirklich das Ziel,
nämlich die deutsche Einheit, für beide Brücken dasselbe und ein unver-
lierbar sicheres ist. Ich gestehe, daß ich um dieses hohen Zieles willen
bereit bin, wenn die Zeit es gebietet, die schwere Gedankenoperation des
„nichtsouveränen Staates“ über mich ergehen zu lassen, nur denke ich mir
dann unter Staat etwas anderes als etwa England, Frankreich, Japan, Ruß-
land, Italien etc. Ich kann mir dann nicht mehr einen „Hegemoniestaat“
Preußen, mit dessen Königskrone ein Kaisertum verbunden ist, vorstellen
und ich kann mir dann ebensowenig ein Königreich Bayern mit eigner
Diplomatie und mit einem Oberbefehl und eigner Armee denken. Der
Konsequenz dieser Betrachtung für die Beurteilung des gegenwärtigen
Rechtes bin ich mir bewußt. Vom Standpunkt strenger juristischer Logik
erblicke ich im Deutschen Reich ein staatsrechtlich unfertiges Gebilde,
in seiner Verfassung einen glücklichen Entwurf einer der Vollendung noch
harrenden Rechtsordnung.
Unfertig ist die Zentralgewalt dieses Gebildes, unfertig das Verhältnis
zwischen den obersten Reichsorganen Kaiser, Bundesrat und Reichstag und
die Einrichtung der Ministerverantwortlichkeit. Auch die Abgrenzung der
Zuständigkeit zwischen Reich und Staaten einerseits und zwischen den
obersten Reichsorganen andrerseits ist keine klar und endgültigabgeschlossene.
Der Reichsaufsicht und der öffentlichen Gerichtsbarkeit des Reichs fehlt
es an der folgerichtigen Durchbildung. Im Finanzwesen macht sich die
Abhängigkeit des Reichs von den Staaten zum Nachteil beider geltend.
Der Reichshaushalt schiebt sich noch zu sehr als ein Fremdkörper zwischen
die Haushalte der Staaten. Und ähnlich steht es noch mit manchen anderen
Dingen. Es gleicht das Reich einem Bau, der vor seiner Vollendung ein-
gestellt wurde. Kein Vorgang der neueren Zeit konnte diesen Stand der
Unfertigkeit deutlicher illustrieren als die letzte Finanzreform und die
elsaß-lothringische Verfassungsgesetzgebung, gar nicht zu reden von den
unsäglichen Mühen der Schiffahrtsabgabengesetzgebung.
Von einer juristischen Konstruktion freilich wäre es zu viel verlangt,
wollte man von ihr erwarten, daß sie diesen Mängeln Abhilfe böte. Doch
scheint mir die Reichspraxis der neueren Zeit mehr und mehr den Weg
über die SEYDEeusche Bundesbrücke demjenigen, welcher über die LABAnDsche
Staatsbrücke führt, vorzuziehen, um den vermeintlichen staatsrechtlichen
und politischen Bedürfnissen des Reichs zu entsprechen. Wenn nicht alle
Zeichen trügen, so ist eine starke Reaktion daran, den Akzent des Öffent-
lichen Lebens Deutschlands aus dem „souveränen Reich“ in die „nichtsou-
veränen Staaten“ zu verlegen. Umso wertvoller wird die systematische
und dogmatische Darstellung des geltenden Reichsstaatsrechtes. Denn sie
allein kann darüber belehren, was an Einheitlichem unverlierbar gewonnen