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muß“, ein Heimatschein und ein Leumundszeugnis der Gemeindebehörde
das Zeugnis des diplomatischen Vertreters ersetzen !. Bei den Beratungen,
die dem Abschluß des neuen Abkommens vorausgingen, war man sich von
vornherein darüber einig, daß das in dem bisherigen Vertrag von deutschen
Reichsangehörigen verlangte Gesandtschaftszeugnis, mit dem man wenig
günstige Erfahrungen gemacht hatte, wegzufallen und der Heimatschein
an seine Stelle zu treten habe. Meinungsverschiedenheit herrschte jedoch
über die Frage, ob auch noch fernerhin ein Ausweis über den Leumund zu
fordern oder darauf zu verzichten sei. Deutscherseits wurde mit Recht
geltend gemacht, „daß ein solches Erfordernis angesichts der heutigen Be-
strebungen, die auf möglichste Freiheit des Verkehrs abzielen, nicht mehr auf-
recht erhalten werden könne, und die Schweiz gegenüber den Einwanderern aus
den drei Nachbarstaaten das Postulat eines Leumundszeugnisses nicht auf-
stelle“1”. Da sich auch die Schweizer Regierung diesen Gründen nicht ver-
schließen konnte '®, einigte man sich dahin, das Verlangen eines Leumunds-
zeugnisses fallen zu lassen. Jedoch wurde gleichzeitig durch Notenaustausch
die Zulässigkeit eines Informationverfahrens in dem Sinne eingeführt, daß
die Polizeibehörden des Aufenthaltsstaates bei denen des Heimatstaates
über das Vorleben der zugezogenen Personen im Wege des direkten Ge-
schäftsverkehrs Auskunft einholen können. Prinzipiell ist somit formelles
Maximalerfordernis für die Aufnahme die Beibringung eines gültigen
Heimatscheins'®, ohne daß es jedoch dem Aufnahmestaat verwehrt wäre,
auch hiervon abzusehen °®.
18 In dem ältesten Niederlassungsvertrag zwischen dem deutschen Reich
und der Schweiz vom 27. April 1876 (MARTENS, Nouveau recueil general
de traites, 2i&me ser. II 54; RGBl. 1877, S. 3; BBL. 1876, III, S. 883) war,
darüber hinausgehend, für beide Teile als weiteres Erfordernis der Nach-
weis des Vollbesitzes der bürgerlichen Ehrenrechte verlangt.
Vgl. den Bericht des schweizer. Bundesrats, S. 3.
ı8 Vgl. auch die weitere Begründung im Bericht (S. 3) . „da der
die Niederlassung gewährende Staat kein Mittel der Kontrolle hat, ob der
unbescholtene Leumund im Hinblick auf das Vorleben des Bewerbers be-
steht, und die Würdigung der in Betracht kommenden Verhältnisse in das
Ermessen der das Leumundszeugnis verabfolgenden Behörde gestellt ist... .“
1% Nach Art. I, 2 des Vertrags mit den Niederlanden genügt ein Paß
oder ein „anderes genügendes Ausweispapier“. S. darüber v. ROHLAND,
S. 41, Anm. 3; OVERBECK im Archiv, S. 126, Anm. 7.
2° Den umgekehrten Standpunkt hatte bekanntlich anläßlich des Falles
Wohlgemuth die deutsche Regierung eingenommen. Vgl. v. Sauıs, II, 480;
LANGHARD, Recht der politischen Fremdenausweisung mit besonderer Be-
rücksichtigung der Schweiz, 1891, S. 8—12; AFFOLTER im Arch. d. ö. R.,
VI, 318 f.; v. OvERBECK, Niederlassungsfreiheit, S. 51, 52.