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Aus der letzteren Ansicht muß zweifellos eine stärkere Betonung des Zeit-
moments beim Zustandekommen eines Gesetzes resultieren, da im Augen-
blick des letzten Teilwillens der oder die ersten Teilwillen noch vorhanden
sein müssen, woraus in starrer Konsequenz sich ergeben müßte, daß das
Parlament, bevor nicht die Sanktion ausgesprochen ist, jederzeit den Be-
schluß, den es gefaßt hat, rückgängig machen könnte. Das Unhaltbare
dieser Konsequenz fühlt der Verf. auch. Denn er läßt das Parlament eine
„angemessene“ Frist an seinen Beschluß gebunden sein. Eine derartige
grundsätzliche Einschränkung des aufgestellten Prinzips ist widerspruchs-
voll. Nachdem der Verf. durchweg betont hat, daß das Sanktionsorgan in
jedem Augenblick zu prüfen hat, ob auch der zur Sanktion vorliegende
Beschluß des Parlaments noch z. Z. Wille des Parlaments sei, mußte logischer-
weise eine solche formelle Tatsache wie die Einschiebung eines modicum
tempus als Wartezeit unberücksichtigt bleiben, zumal der Verf. an anderer
Stelle sich auch nicht scheut, das Postulat aufzustellen, daß nach Auflösung
des Parlaments alle vorher gefaßten, aber nicht sanktionierten Beschlüsse
hinfällig werden. Das ist konsequent, wenn auch nicht vorbehaltlich
richtig.
Der Verf. fühlt, man kann eben ohne die von ihm geleugnete formelle
Bestandskraft der Beschlüsse der Parlamente nicht auskommen. Die Be-
ratungen der Sanktionsorgane z. B. des Bundesrats könnten ohne eine solche
in ihrem letzten Stadium durch eine Zufallsmehrheit im Reichstag hinfällig
gemacht werden. Auch würde man dem Bundesrat durch die jederzeitige
Prüfung, ob der Wille des Reichstags noch derselbe sei, Aufgaben zu-
weisen, denen er nicht gewachsen ist, auch nicht sein kann. Es muß also
die formelle Bindung als Prinzip angesprochen werden, wielange? ist eine
andere Frage.
Und dann! Wer soll denn beurteilen, ob die Frist, die das Sanktions-
organ für seine Entschließung in Anspruch nimmt, „angemessen“ ist oder
nicht? Eine Frage, die der Verf. nicht beantwortet, auch bei seiner grund-
sätzlichen Auffassung der Koordination der bei der Gesetzgebung mit-
wirkenden Organe nicht beantworten kann, wenn er nicht sagen will, daß
darüber das Sanktionsorgan selbst nach seinem pflichtgemäßen Ermessen
entscheiden solle.
Cöln. Otto Nelte.
Urkunden zur Geschichte des Völkerrechts von Dr. Karl
Strupp. 2 Bände mit 2 Karten, Gotha 1911, Friedrich Andreas
Perthes.
Die Bedeutung der Urkunden für das Völkerrecht ist unzweifelhaft.
In dieser Disziplin stellen sie nicht nur praktische Beispiele einer abstrakten
Doktrin dar, sondern über den Rahmen bloßer Illustration hinaus sind sie
in ihrem größten Umfange bedeutsam als Rechtsquelle. Die Urkunden