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Angelegenheiten erstreckt, die der Kompetenz der Reichsduma
unterstehen.
Jede dieser Ansichten hat ihre Vertreter und zugunsten
jeder von ihnen sind mehr oder weniger gewichtige Argumente
angeführt worden. Unsere Aufgabe ist es nun, sich hier zurecht-
zufinden und zu zeigen, wer recht und wer unrecht hat.
Es handelt sich um eine Interpretation einer positiven Norm
des geltenden russischen Rechts, nur davon kann hier die Rede
sein. Deshalb sind alle Erwägungen politischer, sozialer oder
ethischer Natur auszuschließen. Hat der Gesetzgeber das In-
stitut der Unverantwortlichkeit eingeführt oder nicht? Das ist
die Frage, welche gelöst werden muß, unabhängig davon, ob
dieses Institut nach Ansicht einzelner Forscher oder Behörden
gerecht, wünschenswert, zweckentsprechend usw. erscheint. Von
diesem Standpunkte aus muß der Hinweis des Reichsrates
auf die Grundforderungen der Gerechtigkeit als ein Mißverständ-
nis angesehen werden !. Wie schon oben bemerkt, erkennen,
mit geringen Ausnahmen, alle konstitutionellen Staaten das In-
stitut der Unverantwortlichkeit der Abgeordneten an und tun
solches vollständig bewußt: die geschichtliche Erfahrung hat sie
gelehrt, daß es besser und vorteilhafter sei, Wortdelikte der
Volksvertreter ungestraft zu lassen, als sie der Möglichkeit zu
berauben, ihre Meinung ungehindert zu äußern. Es ist aller
Grund zu der Annahme vorhanden, daß auch der russische Ge-
setzgeber, falls er überhaupt das Institut der Unverantwort-
lichkeit eingeführt hat, das in voller Erkenntnis der poli-
tischen Bedeutung desselben getan hat. Deshalb ist es absolut
ıı Dasselbe ist auch von einigen Bemerkungen BOROWITINOW's in
der Sitzung der St. Petersburger juristischen Gesellschaft vom 14. März
1909 zu sagen. Seiner Ansicht nach entbehrt das Privilegium überhaupt
eines rechtlichen Fundamentes („Prawo“ Nr. 15, S. 971). Zugegeben, daß
dem also ist, so folgt daraus doch noch nicht, daß das Organisationsgesetz
der Reichsduma dieses seiner Natur nach unjuristische Institut nicht lega-
lisieren könnte.