— 4% —
unzulässig, beim Interpretieren eines Gesetzes vom Stand-
punkte der Gerechtigkeit oder anderer subjektiver ethisch-po-
litischer Prinzipien zu argumentieren: das Gerechtigkeitsgefühl
des Richters oder einer anderen das Gesetz zur Anwendung
bringenden Person kann ein ganz anderes sein wie beim Ge-
setzgeber.
Die Sache läuft also auf eine Auslegung des Art. 14
heraus, nicht aber auf eine Wertschätzung der Unverantwort-
lichkeit überhaupt. Hierbei muß man sowohl historisch als auch
dogmatisch vorgehen.
Verweilen wir zunächst bei der Entstehungsgeschichte des
Art. 14.
III.
Wie bekannt, vollzog sich die Ausarbeitung der Organi-
sationsgesetze des Reichsrates und der Reichsduma unter dem
Deckmantel des größten Geheimnisses und sind bis jetzt noch
keinerlei Dokumente zur Veröffentlichung gelangt, die Licht in
diese Frage bringen könnten. Dem Forscher bleibt also nur
der Weg der Vermutungen und Voraussetzungen offen.
Was hier zuerst die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, ist der
Umstand, daß das Statut des Reichsrates vor der Revision
desselben einen Artikel enthielt, der inhaltlich dem Art. 14
ziemlich nahe kommt. „Der Reichsrat, so lautet Art. 34 des
Statutes von 1901, genießt in den ihm vorgelegten Angelegen-
heiten völlige Freiheit der Meinungsäußerung. Er ist verpflichtet,
das Wesen und die Bedeutung der zu entscheidenden Fragen
genau zu prüfen, ohne dabei vom Wesentlichen derselben abzu-
weichen, und hat seine Beschlüsse auf wohlerwogenen Urteilen
zu gründen.* Dieser Artikel ist dem Statut des Reichsrates von
1842 entnommen, wo er jedoch eine etwas andere Fassung hatte.
Die ursprüngliche Quelle desselben ist aber ein kaiserliches Re-
skript vom 15. November 1821 an den Vorsitzenden des Reichs-
rates Fürsten Lopuchin, welches durch den folgenden Vor-