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fall hervorgerufen war. Vom Finanzminister Grafen Gurjew war
dem Reichsrat ein Projekt auf Einführung einer Erbschaftssteuer
und Erhöhung diverser anderer Steuern vorgelegt worden. Dieses
Projekt rief sehr hitzige Debatten hervor, wobei einige Mitglieder
des Reichsrates sich in äußerst scharfer Weise über dasselbe
aussprachen. Außerdem waren während der Verhandlung ver-
schiedene Abweichungen von den Regeln der Geschäftsordnung
zugelassen worden. Dieses lenkte die Aufmerksamkeit des Kaisers
auf sich, der auf alle diese Unregelmäßigkeiten in seinem Re-
skript hinwies, welches folgendermaßen schloß: „Ich habe es für
nötig befunden, hier diese Bemerkungen zu dem Zweck zu machen,
daß der Reichsrat, völlige Freiheit der Meinungsäußerung in den
ihm vorgelegten Angelegenheiten genießend, doch die Bedeutung
der Fragen genau prüfe, dabei vom Wesentlichen derselben nicht
abweiche und, ohne sich nicht dahin gehörigen und unbestimm-
ten Phantasien hinzugeben, seinen Beschlüssen wohlerwogene
Urteile, nicht aber bloß vage Meinungen zugrunde lege, und
endlich, daß in den Sitzungen dieser Körperschaft keine Indis-
kretionen zugelassen werden, die sowohl dem Wesen derselben,
als auch dem von ihren Mitgliedern geleisteten Eide widersprechen.
Sie als Vorsitzender werden nicht ermangeln, auf ein genauestes
Befolgen dieser Vorschriften von seiten der Kanzlei des Reichs-
rates zu achten !?.“
Beim Ausarbeiten des Statutes des Reichsrates von 1842
wurde ihm ein besonderer Artikel (89) hinzugefügt, der den
Grundgedanken des erwähnten Reskriptes vollständig ausdrückte.
Dieser Artikel, der auch im Statut des Reichsrates von 1857
beibehalten wurde, lautete: „Der Reichsrat, völlige Freiheit der
Meinungsäußerung in den ihm vorgelegten Angelegenheiten ge-
nießend, hat die Bedeutung der Fragen aufs genaueste zu prüfen,
dabei vom Wesentlichen derselben nicht abzuweichen und, ohne
12 Der Reichsrat“ 1809—1901. Herausgegeben von der Staatskanzlei,
St. Petersburg 1901, S. 31 ff.