Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 28 (28)

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zugleich die Verantwortlichkeit des kontrasignierenden Mini- 
sters für Abweichungen vom Gesetz festsetzen. Dieses Bei- 
spiel zeigt klar, wie unter dem Einflusse der politischen und 
sozialen Atmosphäre, in welcher eine Norm zu wirken hat, sich 
ihr Inhalt verändern kann ?5 ®*, 
Der veränderliche Charakter der Normen bestimmt auch den 
Charakter ihrer Auslegung. Letztere soll die Norm nicht 
isolieren, indem sie dieselbe lediglich als Selbstzweck ansieht. 
Die Natur und der Sinn einer Norm kann, nach allgemein an- 
erkannter Regel, nur im Zusammenhang mit dem gesamten im 
gegebenen Moment geltenden Rechtssystem verstanden werden ?”. 
?5 Man könnte eine ganze Reihe von Begriffen anführen, die mit der 
Reformierung der russischen Staatsordnung ihren Inhalt geändert haheu, 
z. B. „Staatsgrundgesetze“, „Ministerrat“ usw. 
?°* Das erkennt auch v. RAISON an, op. cit., 8.85... „Es kann geschehen, 
daß eine Rechtsnorm, ohne sich äußerlich zu verändern, einen neuen Inhalt 
erhält, mit andern Worten, daß ein Rechtsinstitut seine Bedeutung ändert“ 
— und führt selbst mehrere Beispiele dafür an. „Aber, so fährt er fort, 
ın allen solchen Fällen findet sich im Gesetz ein Hinweis darauf, was unter 
dem betreffenden Terminus zu verstehen ist, weshalb es nicht schwer fällt, 
den wahren Sinn desselben zu bestimmen. Falls jedoch im Gesetz kein 
derartiger Hinweis vorhanden sein sollte, so ist, solange nicht das Gegenteil 
bewiesen ıst, anzunehmen, daß einem älteren Gesetz entlehnte Ausdrücke 
auch im neuen Gesetz ihre frühere Bedeutung behalten haben“, ibid. 87. Die 
Frage muß jedoch bedeutend allgemeiner formuliert werden. Es handelt 
sich nicht bloß um den bedingten Sinn dieses oder jenes Gesetzesaus- 
druckes, sondern um den ganzen Inhalt der betreffenden Norm. Das Fak- 
tum einer Inhaltsänderung einer Norm (oder eines Terminus) kann mög- 
licherweise überhaupt im Gesetz nicht erwähnt sein, ja dem Gesetzgeber 
dieses garnicht zum Bewußtsein gelangt sein. Dessen ungeachtet hat die 
Norm ihre frühere Bedeutung verloren und eine neue erhalten. Entschei- 
dend ist nur die Stellung, welche die Norm in der gesamten Oekonomie 
der neuen Rechtsinstitute einnimmt, nicht aber die zufällige Registrierung 
von seiten des Gesetzgebers einer vollendeten Tatsache. In den Staats- 
grundgesetzen vom 23. April 1906 ist der Sinn des Ausdrucks „Kontra- 
signatur“ nicht speziell erklärt; trotzdem unterliegt es nicht dem geringsten 
Zweifel, daß er hier eine andere Bedeutung hat als in Art. 214, B. I des 
Swod Sakonow, Ausg. 1892. 
27 SAXL, op. cit., 8. 33, die jetzt in der Doktrin allgemein angenommene
	        
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