Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 28 (28)

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der sogenannte revolutionäre Pazifismus gewesen. Ueberhaupt scheint uns, 
daß der Verfasser dem modernen, teils ökonomisch, teils ethisch bedingten 
Internationalismus und Pazifismus eine größere Berücksichtigung hätte an- 
gedeihen lassen können. Die vierte Richtung, welche DEL VECccHIO als die 
rechtliche bezeichnet, geht zurück auf die Staats- und Rechtsphilosophie 
von Rousseau und Kant. Der Grundgedanke dieser Auffassung ist der, 
daß der Friede nur einen Wert besitzt, sofern er auf der Gerechtigkeit 
aufgebaut ist. Der Friede um des Friedens willen, also unter Umständen 
unter Aufrechterhaltung rechtswidriger und ungerechter Verhältnisse, ist 
nicht nur kein Ideal, sondern geradezu für die Entwicklung der Menschheit 
gefährlich. Damit ein Friede stabil sein kann, muß sowohl im Innern der 
Staaten, wie auch in den Beziehungen der Staaten unter sich die Gerechtig- 
keit verwirklicht sein. Aehnlich wie Rousseau die Anerkennung der un- 
veräußerlichen Rechte der Menschen, der Rechte der Gleichheit und der 
Freiheit, als die Voraussetzung jedes rationalen Verfassungssystems ansah, 
so muß auch, ehe der Friede unter den Staaten als etwas Ideales betrachtet 
werden kann, die Gerechtigkeit in den Staaten und zwischen ihnen ver- 
wirklicht werden. DEL VECCHIO ist aber nun nicht der Ansicht, dafs dieses 
rechtliche Friedensideal lediglich den Wert eines ethischen Postulates habe. 
Er erblickt vielmehr in der modernen Entwicklung der zwischenstaatlichen 
Beziehungen eine beständige Verstärkung des Rechtsprinzips, teils dadurch, 
daß sich die Idee des Rechts mehr und mehr als positives soziales Ideal 
durchsetzt, teils dadurch, daß infolge der wirtschaftlichen Interdependenz 
der Staaten und des Hinübergreifens gesellschaftlicher Beziehungen über 
die Grenzen der Staaten die Notwendigkeit und Möglichkeit der Krieg- 
führung fortwährend eingeschränkt wird. Die Anerkennung rechtlicher 
Normen für den Krieg ist nach Auffassung des Verfassers ein bedeutsames 
Zeugnis für diese Durchsetzung des Rechtsbegriffes in der Staatenwelt; DEL 
VECCHIO glaubt den Krieg im modernen Völkerleben als eine Art Prozeß 
zur Verwirklichung von Rechten betrachten zu sollen. Soweit der Krieg 
lediglich zur Durchsetzung des Rechtes dient, ist er, sofern wenigstens nur 
auf diesem Wege das Recht und damit die Gerechtigkeit sich verwirklichen 
kann, ethisch wertvoll, denn er dient dann dazu, den Zustand der Gerechtig- 
keit herbeizuführen und damit die Grundlage für die Kriege zu entziehen. 
Der Krieg kann also selbst ein Mittel sein zum Frieden, nicht nur zum 
vorübergehenden Frieden unter einzelnen Staaten, sondern zur Verwirk- 
lichung des Menschheitsideals, der Gerechtigkeit, das die Grundlage eines 
dauernden Friedens ist. 
Es ist DEL VeEccHıo darin beizustimmen, daß Krieg und Frieden nicht 
als isolierte Tatsachen, sondern in ihrem Zusammenhang mit der ganzen 
Entwicklung der Kultur betrachtet werden müssen. Daß der Friede nur 
unter der Voraussetzung des Bestehens eines richtigen Rechtes Sinn und 
Wert hat, ist eine Anschauung, die im modernen Pazifismus, ganz besonders
	        
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