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übrigens ein Jurist ist, hat sein militärisches Denken durch das Studium
der Geschichte trefflich geschult und seine kritischen Ausführungen zeugen
von einer außerordentlich scharfen Erfassung der Probleme. Das Buch
gehört m. E. zum Besten, was über Kriegsrecht geschrieben worden und
es hat das große Verdienst, das Kriegsrecht, das solange am juristischen
Begriffshimmel umherirrte, ganz resolut auf den harten Boden der kriege-
rischen Wirklichkeit zu stellen. SpAIGHT, der sich, ungleich den meisten
seiner Vorgänger, wirklich mit dem Kriege befaßt hat, hält sich aber nicht
nur von sentimentaler Phantasterei fern, sondern auch von jener unwissen-
schaftlichen, ja widerwärtigen Art, die jede militarische Brutalität, nament-
lich wenn sie vom Heer des eigenen Landes begangen, juristisch schön
färben will. Max Huber.
Rapisardi-Maribelli, Andrea, Ilsignificato dellaguerra nella
scienza del diritto internazionale. Roma 1910. 72 pag.
Eine wertvolle dogmengeschichtliche und dogmenkritische Studie über
den völkerrechtlichen Begriff des Krieges und dessen Stellung im Völker-
rechtssystem. Der Verfasser stellt sich die Aufgabe zu untersuchen, ob
der Krieg ein Rechtsschutzmittel und ein normaler Bestandteil des Völker-
rechtssystems sei. Er kommt in beiden Fällen und, wie ich glaube, mit
Recht zu einem negativen Ergebnis.
Zum Zweck seiner Untersuchung behandelt R.-M. zunächst „la tradi-
zione“, d.h. die Entwicklung des Kriegsbegriffs in der Doktrin seit Grotius.
Er zeigt, daß die Auffassung, wonach der Krieg ein Rechtsmittel zum Schutz
der subjektiven Staatenrechte sei, aus der naturrechtlichen Schule her-
stammt und dort dominierte, aber auch die eklektische und selbst die
positivistische Schule stark beeinflußte. In den modernen Systemen des
Völkerrechts ist der Krieg entweder eingegliedert unter den Streiterledigungs-
mitteln oder tritt, ähnlich wie bei Grotius, dem Friedenszustand als alter-
nativer rechtlicher Zustand gegenüber.
In einem zweiten Teile seiner Studie befasst sich R.-M. mit der Natur
der Staatenstreitigkeiten und untersucht insbesondere den Gegensatz von
Rechts- und Interessenkonflikten. Die Betrachtung der Geschichte, ins-
besondere der zeitgenössischen, lehrt nach der Ansicht des Verfassers, daß
die Ursachen der Kriege nicht Rechts-, sondern Interessenkonflikte sind,
d.h. Konflikte, die entweder rechtliche Adiaphora sind, oder bei denen das
Rechtliche nur eine unwesentliche Nebenerscheinung bildet. Die Tatsache
ist richtig, aber es soll nicht übersehen werden, daß die Auffassung von
der Rechtsmittelnatur des Krieges und die alte Idee vom bellum justum et
pium darin nachwirken, daß auch heute noch die Kriegführenden, wenn
irgend möglich, sich den Anschein von Verteidigern von Rechten zu wahren
bestrebt sind.