Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 28 (28)

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Wenn es Tatsache ist, daß nicht Konflikte über rechtlich relevante 
Verhältnisse die Ursache des Krieges zu sein pflegen und durch die Praxis 
der Schiedsverträge, speziell der obligatorischen, die reinen Rechtskonflikte 
immer mehr von der kriegerischen Erledigung tatsächlich und, beim Obli- 
gatorium, rechtlich ausgeschlossen werden, um so weniger kann dem Kriege 
im Völkerrechtssystem eine Stellung als Streiterledigungsmittel an- 
gewiesen werden. Für das Völkerrecht kommt der Krieg als etwas ledig- 
lich Anormales in Betracht, er kann deshalb nach Ansicht des Verfassers 
dem System nicht organisch als Teil angegliedert werden; er bildet ledig- 
lich einen Anhang dazu. 
Wenn auch heute die „Verprozessualisierung“ des Krieges nicht mehr 
die herrschende Doktrin ist, so ist es doch immer noch die Regel, das 
Kriegsrecht als einen homogenen Bestandteil des Völkerrechts anzusehen. 
Und dagegen macht u. E. R.-M. mit Recht Opposition. Der Krieg (oder 
genauer gesprochen, jede das eigene Gebiet überschreitende Selbsthilfe) 
stellt die Grundlagen der internationalen Beziehungen auf den Kopf, denn 
im Krieg hat die Staatspersönlichkeit und die territoriale Integrität des 
Gegners für den andern Kriegführenden nur ein bedingtes Recht auf Exi- 
stenz,. Das macht den fundamentalen Unterschied zwischen Friedens- und 
Kriegsrecht aus. Es ist nicht denkbar, daß in ein und demselben und zwar 
auf Koordination beruhenden Rechtssystem ein Rechtssubjekt teils eine 
absolute, teils eine bedingte Existenzberechtigung habe. Die Caesur im 
internationalen Recht liegt nicht zwischen Ausgeglichenheit und Streit, 
sondern zwischen Beziehungen, in denen die Staatspersönlichkeiten unver- 
letzlich, und solchen, in denen sie vernichtbar sind. 
Wenn wir auch z. T. aus andern Gründen Bedenken gegen die tradi- 
tionelle Systematik des Völkerrechts hinsichtlich des Kriegsrechtes hegen, 
so begrüßen wir die inhaltsreiche Schrift von R.-M. lebhaft, weil sie eine 
Grundfrage der Völkerrechtswissenschaft teilweise in ein neues Licht rückt. 
Der Krieg (vom Neutralitätsverhältnis natürlich abgesehen) spielt sich nicht 
wie die Selbsthilfe primitiver Rechtsordnungen in der Rechtsordnung, son- 
dern neben der Rechtsordnung ab. Wenn auch der Krieg nicht mehr reine 
Rechtlosigkeit ist, so ist er doch relative und wird es stets bleiben. Wenn 
die internationale Rechtsgemeinschaft derart konsolidiert sein wird, daß 
der Krieg auf ein Rechtsschutzmittel reduziert werden könnte, ist der Krieg 
überhaupt nicht mehr als normale Institution möglich. Es wird dann für 
das Völkerrecht sein, was eine Revolution für das Staatsrecht: eine recht- 
lich unerfaßbare Anomalie.. Die Art und Weise, wie das Kriegsrecht 
systematisch behandelt wird, zeigt, wie sehr man, wenn auch äußerlich 
unter anderen Formen, noch unter dem Bann naturrechtlicher Denkweise 
steht. Wäre man nicht von vorgefaßten juristischen Vorstellungen ausge- 
gangen, sondern unbefangen an die Tatsachen herangetreten, so würde 
man wohl nie im Kriege ein Rechtsverfahren, einen Verkehrsakt u. dgl.
	        
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