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Wenn es Tatsache ist, daß nicht Konflikte über rechtlich relevante
Verhältnisse die Ursache des Krieges zu sein pflegen und durch die Praxis
der Schiedsverträge, speziell der obligatorischen, die reinen Rechtskonflikte
immer mehr von der kriegerischen Erledigung tatsächlich und, beim Obli-
gatorium, rechtlich ausgeschlossen werden, um so weniger kann dem Kriege
im Völkerrechtssystem eine Stellung als Streiterledigungsmittel an-
gewiesen werden. Für das Völkerrecht kommt der Krieg als etwas ledig-
lich Anormales in Betracht, er kann deshalb nach Ansicht des Verfassers
dem System nicht organisch als Teil angegliedert werden; er bildet ledig-
lich einen Anhang dazu.
Wenn auch heute die „Verprozessualisierung“ des Krieges nicht mehr
die herrschende Doktrin ist, so ist es doch immer noch die Regel, das
Kriegsrecht als einen homogenen Bestandteil des Völkerrechts anzusehen.
Und dagegen macht u. E. R.-M. mit Recht Opposition. Der Krieg (oder
genauer gesprochen, jede das eigene Gebiet überschreitende Selbsthilfe)
stellt die Grundlagen der internationalen Beziehungen auf den Kopf, denn
im Krieg hat die Staatspersönlichkeit und die territoriale Integrität des
Gegners für den andern Kriegführenden nur ein bedingtes Recht auf Exi-
stenz,. Das macht den fundamentalen Unterschied zwischen Friedens- und
Kriegsrecht aus. Es ist nicht denkbar, daß in ein und demselben und zwar
auf Koordination beruhenden Rechtssystem ein Rechtssubjekt teils eine
absolute, teils eine bedingte Existenzberechtigung habe. Die Caesur im
internationalen Recht liegt nicht zwischen Ausgeglichenheit und Streit,
sondern zwischen Beziehungen, in denen die Staatspersönlichkeiten unver-
letzlich, und solchen, in denen sie vernichtbar sind.
Wenn wir auch z. T. aus andern Gründen Bedenken gegen die tradi-
tionelle Systematik des Völkerrechts hinsichtlich des Kriegsrechtes hegen,
so begrüßen wir die inhaltsreiche Schrift von R.-M. lebhaft, weil sie eine
Grundfrage der Völkerrechtswissenschaft teilweise in ein neues Licht rückt.
Der Krieg (vom Neutralitätsverhältnis natürlich abgesehen) spielt sich nicht
wie die Selbsthilfe primitiver Rechtsordnungen in der Rechtsordnung, son-
dern neben der Rechtsordnung ab. Wenn auch der Krieg nicht mehr reine
Rechtlosigkeit ist, so ist er doch relative und wird es stets bleiben. Wenn
die internationale Rechtsgemeinschaft derart konsolidiert sein wird, daß
der Krieg auf ein Rechtsschutzmittel reduziert werden könnte, ist der Krieg
überhaupt nicht mehr als normale Institution möglich. Es wird dann für
das Völkerrecht sein, was eine Revolution für das Staatsrecht: eine recht-
lich unerfaßbare Anomalie.. Die Art und Weise, wie das Kriegsrecht
systematisch behandelt wird, zeigt, wie sehr man, wenn auch äußerlich
unter anderen Formen, noch unter dem Bann naturrechtlicher Denkweise
steht. Wäre man nicht von vorgefaßten juristischen Vorstellungen ausge-
gangen, sondern unbefangen an die Tatsachen herangetreten, so würde
man wohl nie im Kriege ein Rechtsverfahren, einen Verkehrsakt u. dgl.