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Prof. Josef Redlichh Das Wesen der österreichischen Kom-
munalverfassung. Leipzig, Duncker und Humblot 1910. (85 S.)
Verfasser stellt sich in diesem, zu einer Abhandlung erweiterten, vor
der Berliner Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung anläßlich
ihres Besuches in Wien gehaltenen Vortrage die Aufgabe, eine mit den
Einzelheiten ihres heimischen Kommunalrechtes vertraute Zuhörerschaft
von preußischen Juristen mit dem Wesen einer ganz andersgearteten Kom-
munalorganisation, mit der österreichischen Gemeindever-
fassung bekannt zu machen. Es werden somit die Grundgedanken des
österreichischen Kommunalrechtes vor allem im Vergleiche und im Gegen-
satze zum preußischen Rechte dargestellt. Dabei kommt es dem Ver-
fasser bei der klaren und übersichtlichen Darstellung seines Gegenstandes,
in welcher Hinsicht besonders auf die sehr gelungene, vergleichende Er-
örterung der komplizierten Verhältnisse der städtischen Großgemeinden
hinzuweisen wäre, auf die funktionelle Betrachtungsweise der ein-
schlägigen Normen, nämlich vom Standpunkte der Erfassung der kommu-
nalen Einrichtungen als politischer Phänomene an; daher die stete
Betonung der parallelen Entwicklung der kommunalen mit der staat-
lichen Verfassung, als deren Stück die erstere dem Verfasser erscheint.
Verfasser erweist sich dabei als ein überzeugter Anhänger unserer durch
Gf. Stadion inspirierten Gemeindegesetzgebung des J. 1849, deren frei-
heitliche Ideen in der geltenden österr. Gemeindegesetzgebung aus den
60er Jahren des vorigen Jahrhunderts getreulich wiederkehren und im Gegen-
satze zu demin der preußischen Gemeindeverwaltung ausgestalteten, vom
Staate durchaus abhängigen kommunalen Organismus mit seinem mittel-
baren Staatsbeamtentum die freie Entwicklung der politischen und wirt-
schaftlichen Kräfte gestattet.
Vielleicht mochte die Tatsache, daß der Vortrag für ein ausländisches
Publikum bestimmt war. den Redner veranlaßt haben, an den Schatten-
seiten unserer kommunalen Einrichtungen, welche gerade bei der funk-
tionellen Betrachtungsweise dem erfahrenen Politiker gewiß nicht ent-
gangen sind, sachte vorüberzugehen. Gerade die Einheitlichkeit
unserer Kommunalverfassung, welche von den wenigen, ziemlich willkür-
lich ausgewählten Städten mit eigenem Statute abgesehen, zwischen der
reichen, mit ausgebildetem Verwaltunsgsapparate und mit großen Mitteln
arbeitenden und der armen, kleinen Gemeinde keinen Unterschied macht,
bildet ein Hemmnis der ordnungsmäßigen Funktion der Gemeinde, indem
die kleine Gemeinde den größten Teil ihrer überaus mannigfachen und
großen Aufgaben gar nicht durchzuführen vermag, während die
große Gemeinde dadurch mit einer derartigen Machtvollkommenheit aus-
gestattet erscheint, daß das notwendige Zusammenwirken mit der
Staatsverwaltung wesentlich erschwert wird. Ein so großekulturelle
und wirtschaftliche Verschiedenheiten darstellendes Staatswesen wie das Öster-
Archiv des öffentlichen Rechts. XXVIII &. 37