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neu gewonnenen konstitutionellen Staatsform anpassen wollte; und wenn
die gesetzliche Formalisierung dieser Absicht infolge mangelnder Einsicht
in das Wesen der Staatsverbindungen nur unvollkommen gelungen sei, so
müsse eine loyale Gesetzesauslegung mehr der durch die geschichtliche
Entwicklung der habsburgischen Monarchie gestützten Absicht der
Gesetzgeber als der nicht in voller Konsequenz durchgeführten juristischen
Konstruktion folgen.
Bemerkenswert sind die Ausführungen über das Wesen der Real-
union, in welcher Verfasser der JELLINEKschen Konstruktion derselben
als einer Staatenverbindung völkerrechtlichen Charakters entgegentritt und
inbesondere der durch die Pragmatische Sanktion Karls VI. ge-
schaffenen Realunion innerhalb des unter einem gemeinsamen Herrscher stehen-
den ständischen Länderstaates der Habsburger einen vorzüglich staats-
rechtlichen Charakter vindiziert, welcher eine derartige Verbindung dem
bundesstaatlichen Typus nähert. So bilde nach dem Verfasser die
logische Rechtsform, welche eine Realunion dauernd verbürgt, der Bundes-
staat, in dessen Richtung Verfasser die weitere Entwicklung des Verhält-
nisses beider Reichshälften erhofft. — Wenn auch hier die Ergebnisse des
Verfassers nicht gerade als durchaus neu bezeichnet werden können, indem
insbesondere die neuere österreichische Staatsrechtswissenschaft einen zwei-
fachen Typus der Realunion, einen vorzüglich völkerrechtlichen (ehemals
Schweden-Norwegen) und einen vorzüglich staatsrechtlichen (Oesterreich-
Ungarn) unterscheidet, so ist jedenfalls die Tatsache mit Genugtuung zu
begrüßen, daß gerade die neueste Österreichische Geschichtsforschung — es
sei hier insbesondere auch G. TuRBA genannt — der Frage der rechtlichen
Natur der österr.-ung. Monarchie immer mehr ihre Aufmerksamkeit zuwen-
det. Denn die Verbindung beider Reichshälften ist tätsächlich nur aus
dem Gesichtspunkte ihrer Jahrhunderte währenden geschichtlichen
Entwicklung richtig zu würdigen und gebührt bei der Zurückweisung
gewisser überspannter Folgerungen aus der allerdings nicht glücklichen
Fassung der diesfälligen Gesetzgebung dem Historiker die führende
Rolle. In dieser Beziehung bildet aber die Arbeit STEINACKERs bes. durch
Heranziehung eines reichen geschichtlichen Materials einen wertvollen Bei-
trag. Dr. von Herrnritt.
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Dr. jur. Kurt Wolzendorff, Polizei und Prostitution. Verlag von
H. Laupp, Tübingen, 1911. III und 76 S. M. 2.—.
Der Verfasser will die Entwickelung staatsrechtlicher Prinzipien in der
polizeilichen Behandlung der Prostitution nachweisen. So schildert er zu-
nächst, in Anlehnung an das Gutachten des Arztes F. J. BEHREND für den
Minister von Ladenberg von 1849, wie im Altertum Schutz der öffentlichen
Sicherheit Zweck der Prostitutionspolizei ist, und zwar durch Isolierung
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