Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 28 (28)

— 588 — 
leuchtet hatte, nichts über die russische Verfassung besaßen. Der Autor, 
der Lektor am Berliner Orientalischen Seminar ist und in der russischen 
Klasse seit vielen Jahren Vorlesungen über russisches Verfassungs- und 
Verwaltungsrecht hält, war in besonderer Weise für das Thema berufen. 
Er hat es in der Weise gelöst, daß er zu den sogenannten Grundgesetzen 
Rußlands im engeren Sinne unter Weglassung des Statuts der Kaiserlichen 
Familie einen Kommentar geschrieben hat. Diesem Kommentar geht ein 
historischer Teil über die Geschichte der russischen Staatsverfassung voran 
und ihm folgt eine gedrängte Darstellung des geltenden russischen Wahl- 
rechts für die Reichsduma, während das Wahlrecht für den Reichsrat in 
kurzer Weise bei dem Artikel 100 der Verfassungsurkunde, der vom Reichs- 
rat spricht, mitbehandelt worden ist. 
Dem Verfasser wurde seine Aufgabe dadurch erschwert, daß er einen 
jungfräulichen Boden zu beackern hatte und daß ihm wenige Führer auf 
seinem Wege vorangegangen waren. Außer dem mehr lehrbuchartig unter 
weiter Heranziehung von Analogien aus der ausländischen Wissenschaft 
und dem Auslandsrecht geschriebenen Werke von LAZÄRkEwSKI über das 
konstitutionelle Recht Rußlands existierten eigentlich nur die verdienst- 
vollen Aufsätze von Baron Borıs NOLDE „Umrisse des russischen Verfas- 
sungsrechts“, die jetzt in ihrer zweiten Auflage außer den Abhandlungen 
über das Notverordnungsrecht und den Ministerrat noch eine dritte über 
die Einheit und Unteilbarkeit Rußlands enthalten, wobei besonders die 
finnische Frage einen größeren Raum einnimmt. 
Ferner lagen in der kurzen Spanne, die das Erscheinen des PALME- 
schen Buches von dem Erlaß der Verfassungsurkunde trennt, wenige 
Präzedenzen vor, die streitige Auslegungsfragen hätten beleuchten können; 
das Material über die Entstehungsgeschichte der Verfassung ist vorläufig 
der Oeffentlichkeit mit geringen Ausnahmen nicht bekannt, es konnte also 
nur die Aufgabe PALMES sein, in seinem Kommentar zu den Grundgesetzen 
die großen Probleme der Auslegung, die an sich gegeben waren, festzu- 
stellen und seinerseits zu ihnen Stellung zu nehmen. Er hat dies in um- 
sichtiger und klarer Weise getan. Wo er von der juristischen Interpreta- 
tion von Verfassungsbestimmungen zur Wertung ihrer politischen Bedeutung 
übergeht, tut er dies, wie mir scheint, ohne Voreingenommenheit und mit 
einem Blick für das Wesentliche. _ 
Den interessanteren Problemen des russischen Verfassungsrechts, das 
sich bekanntlich in vielen Punkten in eigenartiger Weise von den west- 
europäischen Konstitutionen unterscheidet, hat PALME größeren Raum ein- 
geräumt; ich erwähne unter anderem den Notverordnungsparagraph 87, 
dessen Geschichte in Rußland wohl noch nicht abgeschlossen ist und dessen 
Anwendung durch den getöteten Ministerpräsidenten Stolypin in der 
jüngsten Vergangenheit so viel Aufregung hervorgerufen hat. Leider 
konnten weder Baron NoLDE noch PALME zu den Ereignissen Stellung
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.