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weiter die auf Art. 7 der Prisenhofkonvention beruhende Möglichkeit für
das Gericht, Recht zu setzen, juristisch als delegierte gesetzgebende Ge-
walt, die sonst durch die Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit auszu-
üben ist, auf begrenztem Gebiet aufgefaßt werden muß.
Noch ein Wort über die Besetzung internationaler Gerichte! Aus ihnen
will OPPENHEIM die Diplomaten entfernt und an ihrer Stelle im Völker-
recht versierte Richter gesetzt sehen. Ich vermag ihm hierin insoweit bei-
zustimmen, als ich einen Teil aus nationalen Richtern, einen Teil aus
Völkerrechtslehrern, die stetsden Vorsitzenden zu stellen hätten, und aus Dip-
lomaten genommen sehen möchte. Doch dürfte, vielleicht durch Einführung
eines obligatorischen völkerrechtlichen Studiums an der hoffentlich bald
erstehenden Völkerrechtshochschule im Haag, bisher auf dem Gebiet des
Völkerrechts ungeübten Richtern Gelegenheit zu geben sein, Vertrautheit
auch mit verwickelten Instituten dieses Rechtszweiges zu erwerben.
In einem IV. Kapitel handelt OppEnHEIM von der Wissenschaft des
Völkerrechts, deren womöglich noch gewachsene Bedeutung bei der Aus-
legung und Anwendung der neuen Völkerrechtssätze er gebührend würdigt.
Wenn er sich in diesem Zusammenhang gegen die Herrschaft der Phrase
und gegen die Aufstellung von Regeln wendet, welche nie und nimmer dem
Rechte angehörten, so muß ich ihm beistimmen, so weit er als Beispiel
den Satz: „Kriegsraison geht vor Kriegsmanier“ anführt und ihn aus der
Völkerrechtswissenschaft verbannt wissen will!‘. Widerspruch aber muß
es begegnen, wenn er dieselbe Forderung für den, auf ROUSSEAU !! zurück
gehenden Satz postuliert, daß der Krieg nur eine Beziehung zwischen den
Staaten schaffe. Es ist vielleicht ein Fehler gewesen, daß ROUSSEAU diesen
Satz mit der ihm eigenen Genialität ohne nähere Begründung hingeworfen
und daß auch keiner von den Theoretikern und Praktikern, die ihn über-
nommen haben, daran gedacht bat, den juristischen Nachweis seiner
Richtigkeit zu erbringen. Und doch ist der Satz nichts anderes als eine
logische Folge des Völkerrechtsbegriffs überhaupt. Völkerrechtssubjektivität
kommt zur Zeit!” nur Staaten zu. Da nun aber das Kriegsrecht nichts
1° Vgl. dazu auch CYBIcHOwSKI, Studien zum Internationalen Recht,
1912, S. 38, 68.
1 Contrat social libre I chap. 4.
12 Es besteht für die Völkerrechtsgemeinschaft keine Schranke, auch
andere Wesen mit Völkerrechtssubjektivität auszustatten. Wie es auf dem
Gebiete des Privatrechts — das lehrt die Universal-Rechtsgeschichte — in
früherer Zeit Menschen gegeben hat, denen die Qualität als Rechtssubjekt
versagt wurde, umgekehrt die neuere Entwicklung dahin geführt hat, Ver-
bänden Rechtspersönlichkeit zuzuerkennen, so kann auch die Staatenge-
meinschaft neben den gewohnheitsrechtlich bisher allein als Subjekt aner-
kannten Staaten, Personen oder Gemeinschaften zu „Personen“ in diesem