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daß man sich im Jahre 1814 das Storthing nicht als eine Versammlung der
hervorragendsten Politiker des Landes, sondern mehr nach Art einer Lokal-
vertretung vorgestellt hat — ferner der Mangel eines königlichen Auf-
lösungsrechtes, die Verpflichtung, die Wahl anzunehmen, die gleichzeitig
mit der Wahl der Abgeordneten erfolgende Wahl von Ersatzmännern und
last not least das 1907 eingeführte aktive und passive Wahlrecht der
Frauen. Für das Wahlverfahren ist charakteristisch, daß unter gewissen
Bedingungen auch abwesende Wähler durch Einsendung eines Stimmzettels
an der Wahl teilnehmen können — eine Bestimmung, die auf die Fischer-
bevölkerung in den nördlichen Landesteilen und die vielen abwesenden
Seeleute berechnet ist.
Aus der französischen Verfassung von 1791 stammt das begrenzte Sank-
tionsrecht des Königs, durch das sich die Staatsform Norwegens so sehr
der Republik nähert. Wie der Verfasser ausführt, hat man sich dieses
Recht von Haus aus als durchaus nicht bloß auf dem Papier stehend vor-
gestellt, sondern damit eine praktisch ebenso wirksame Institution schaffen
wollen, wie es das Veto des nordamerikanischen Unionpräsidenten ist.
Auf dieses Recht bezieht sich die bekannteste aller norwegischen Rechts-
fragen, die Frage nämlich, wie es mit der Sanktionbefugnis des Königs
bei Verfassungsänderungen steht. Der Verfasser erinnert bei Bespre-
chung dieses Punktes daran, daß in dem wichtigsten unter den Entwürfen
des Grundgesetzes Verfassungsänderungen der Kompetenz der gewöhnlichen
Staatsorgane entzogen waren; es sollte alle 25 Jahre eine neue Konsti-
tuante zusammenberufen werden, deren Vorschläge zu Aenderungen des
Grundgesetzes den Wahlberechtigten zur Abstimmung vorzulegen waren
und von ihnen nur mit Zweidrittel-Majorität angenommen werden konnten.
Die Unklarheit über die Kompetenz des Königs stammt nun zum größten
Teil daher, daß man bei Beratung der Verfassung von dem zuerst in Aus-
sicht genommenen Zweikammersystem zu dem jetzigen modifizierten Ein-
kammersystem und im Zusammenhang damit von der Bestellung eigener
Organe für die Verfassungsgesetzgebung zur Uebertragung dieser Kompe-
tenz an die gewöhnlichen Gesetzgebungsfaktoren übergegangen ist, ohne
daß man sich über alle Konsequenzen dieses Prinzipienwechsels klar ge-
wesen wäre. Auf die Frage nach dem Sanktionsrecht des Königs bei
Verfussungsänderungen sind & priori drei Antworten möglich: Man kann
dieses Recht vollständig negieren, man kann dem König in diesen Fällen
dasselbe zeitlich begrenzte Sanktionsrecht zuschreiben, wie bei gewöhn-
lichen Gesetzen und man kann ihm in diesen Fällen ein zeitlich unbe-
grenztes Sanktionsrecht zuschreiben. Der Verfasser ist der letzten, für den
König günstigsten Ansicht, wobei er insbesondere aus dem der Verfassung
zugrunde liegenden Prinzip der Gewaltenteilung heraus argumentiert. Auch
weist er darauf hin, daß schon die im Oktober und November 1814 erfolgte
Revision des Grundgesetzes durch eine paragraphenweise Verhandlung zwi-