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fassungsänderungen vorgeschriebenen Regeln unterliegt. Wenn
z. B. auf Grund des Art. 4 der Reichsverfassung das Bürgerliche
Gesetzbuch erging, so war einfache Stimmenmehrheit in Bundes-
rat und Reichstag zur Gültigkeit dieses Gesetzes ausreichend.
Würde dagegen die Reichsverfassung den genannten Artikel 4
nicht enthalten, so wäre der Erlaß des BGB. als eine Erweiterung
der Kompetenz des Reiches auf Kosten der Bundesstaaten anzu-
sehen gewesen, und Art. 78 der RV. würde zur Anwendung ge-
kommen sein.
Noch eine weitere, allerdings nur negative Bedeutung kommt
den Gesetzesankündigungen zu. Wenn nämlich auf Grund der
betr. Verfassungsbestimmung das in Aussicht gestellte Gesetz er-
lassen ist, so kann es — ob zwar auf einfachem Gesetzeswege
erlassen — nurim Wege der Verfassungsänderung aufgehoben?
werden. Bleiben wir bei dem oben erwähnten Beispiele des BGB.,
so schließen wir, daß, wenn die gesetzgebenden Faktoren auf
irgend einem bereits im BGB. reichsrechtlich geregelten Gebiete
wieder die Zuständigkeit der Einzelstaaten festsetzen wollten, sie
dies nur auf dem Wege der Verfassungsänderung tun
könnten. Denn mit dem Erlaß des BGB. ist RV. Art. 4 No. 13
gewissermaßen zum vollen Austrag gelangt, und die reichs-
rechtliche Regelung des Zivilrechts in seiner Gesamtheit ist nun-
mehr Bestandteil der Verfassung selbst geworden.
Ist nun aber mit dem Gesagten die Bedeutung der Gesetzes-
ankündigungen in Verfassungsurkunden erschöpft? Ergehen der-
® Die Abänderung ist selbstverständlich auf einfachem gesetz-
lichen Wege möglich. Eine Art Legalbeweis hierfür gibt übrigens Art. 65
bis 68 der preußischen Verfassung, wonach die die Bildung der I. Kammer
betr. Königliche Verordnung nur durch ein mit Zustimmung der Kammern
zu erlassendes Gesetz abgeändert werden kann. Eine vollständige
Aufhebung der königlichen Verordnung könnte aber natürlich nur gemäß
den erschwerenden Bestimmungen des Art. 107 stattfinden, denn durch
die Aufhebung der Verordnung — sodaß also der König bei seinen Er-
nennungen an keine besonderen Regeln gebunden wäre — würde Art. 65
bis 68 Abs. 1 tatsächlich auch abgeschafft werden.