Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

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druck gebrachte entgegengesetzte Meinung in v. HOLTZENDORFFS 
Handbuch des Völkerrechts, 1889 Bd. 4 S. 664, nach der der 
neutrale Staat zwar berechtigt sein soll, Verwundeten Aufnahme 
zu gewähren, nicht aber zur Pflege derselben seitens eines Krieg- 
führenden Spitäler errichten darf — was der Entsendung von 
Aerzten entsprechen würde — ist meines Erachtens unbegründet; 
die feine Unterscheidung, die hier gemacht wird, findet im Völker- 
recht, wenigstens im modernen Völkerrecht, keinen Boden. Durch 
die seit dem Erscheinen des HOLTZENDORFFschen Jahrbuchs neu 
hinzugetretenen Völkerrechtsquellen, II. Genfer Konvention von 1906 
und Abkommen der II. Haager Friedenskonferenz von 1907, dürfte 
die Ansicht v. HOLTZENDORFFs vollends widerlegt sein. 
Es kann sodann noch die Frage entstehen, ob es zulässig ist, 
daß der neutrale Staat durch die Entsendung von Aerzten und 
Lieferung von Heilmitteln nur einem der Kriegführenden hilft, 
oder ob er verpflichtet ist, beiden zu helfen. Hat also, wenn 
eine neutrale Macht in der angegebenen Weise einer kriegführen- 
den Macht hilft, die gegnerische Macht einen rechtlichen Anspruch 
darauf, daß die neutrale Macht ihr in derselben Weise helfe und 
ihr Aerzte oder Heilmittel zusende? Oder ist andererseits die 
neutrale Macht verpflichtet, außer den Angehörigen des Staates, 
dessen Verwundete sie pflegen will, auch denjenigen Verwundeten 
zu helfen, die sich als Kriegsgefangene in den Lazaretten der von 
ihr unterstützten Macht befinden? Auf einen praktischen Fall 
übertragen: Wäre es zulässig, wenn Rußland Aerzte zum monte- 
negrinischen Heere entsendet hätte mit dem Auftrage, nur die 
montenegrinischen Verwundeten zu pflegen, nicht aber auch die 
gefangenen türkischen Verwundeten ? 
Ich trage kein Bedenken, die beiden ersten Fragen zu ver- 
neinen und die letzte Frage zu bejahen. Es ist zwar ein an- 
erkannter Grundsatz des Völkerrechts, daß kein neutraler Staat 
für einen von den Kriegführenden tatsächlich Partei ergreifen 
darf, und daß er das, was er dem einen gewährt, dem an-
	        
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