Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

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der Gerechtigkeit und, weil hierzu die Erkenntnis des Gerechten 
nötig ist, die Ermittlung der Wahrheit. Dient sie der Wahrheit 
mehr als andere Einrichtungen, so ist ihre Berechtigung dargetan, 
und sie verdient alles Lob. Freilich behaupten manche, der Haupt- 
zweck der Jury sei, die Unschuld zu retten auf alle Weise, selbst 
auf die Gefahr hin, daß der Schuldige entrinne. Wenn dies aber 
richtig wäre, so ließe sich das auf weit bequemere Art erreichen. 
Außerdem müßte dann dem Schilde der Unschuld, dem Ge- 
schworenengerichte, eine andere Einrichtung als Schwert des An- 
griffs gegenüberstehen; nur dann würde das Gleichgewicht vor- 
handen sein. Denn: „Der Grundsatz: es ist besser, daß tausend 
Schuldige entkommen, als daß ein Unschuldiger gestraft werde, 
ıst als Maxime der Gesetzgebung nicht mehr wert wie der ent- 
gegengesetzte: es ist besser, daß tausend Unschuldige bestraft 
werden, als daß ein Schuldiger entkomme.* Die Aufgabe der 
Gerechtigkeitspflege ist es, „einen Mechanismus der Gerichtsver- 
fassung zu finden, durch welchen so viel wie möglich bewirkt 
werden kann, daß kein Unschuldiger bestraft werde, aber auch 
kein Schuldiger der verdienten Strafe entgehe“. Weshalb, so fragt 
FEUERBACH, soll nun das Schwurgericht für dieses Ziel besonders 
geeignet sein? Man verweist auf den Wahrheitsinstinkt des 
Menschen, der ihm von der Natur gegeben sei und im Geschworenen 
zur reinsten Entfaltung komme. Diese Auffassung ist in der 
französischen Juryliteratur häufig vertreten. Der Geschworene ist 
dort ein Mensch, der in einer Art von Traumzustand den Wahr- 
spruch gleich einem Orakel von sich gibt. FEUERBACH nennt 
diese Jury einen „Methodisten- oder Quäkerverein, der in dumpfer 
Gedankenlosigkeit auf den Liehtstrahl der natürlichen Offenbarung 
harrt*. Mit außerordentlichem Seharfsinn entwickelt er die Tat- 
sache, daß alle Instinkte ihrer Natur nach nur wollend, begehrend, 
niemals erkennend sind. Der Instinkt ist selbst in seinem Be- 
gehren notwendigerweise blind, die Erkenntnis aber ist begrifflich 
sehend, Ein Instinkt, der die Wahrheit erkennt, wäre darum eine
	        
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