Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

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suchung nicht gewachsen ist. Er will nach rechtsvergleichender Methode 
arbeiten; er will „das positive Recht zur Grundlage nehmen, wie es in 
jenen Staaten, die die Trennung durchgeführt haben, verwirklicht ist“; er 
meint, es könne sich aus solcher Feststellung „durch Vergleichung ergeben, 
worin die bezeichnenden Merkmale jener Rechtsordnung bestehen“ (S. IL). 
Das ist ein Irrtum. Ich glaube, es ist nicht möglich, heute aus dem Ver- 
gleich der bestehenden positiven Rechtsregeln aller Staaten — ohne Zu- 
hilfenahme wissenschaftlicher Voraussetzungen — ein allgemeines Monar- 
chenrecht oder Polizeirecht oder Parlamentsrecht zu konstruieren; ein ab- 
straktes „Recht der Trennung von Staat und Kirche“ ganz gewiß nicht. 
Wer in vielen verschiedenen Staaten das Verhältnis zwischen Staat und 
Kirche beobachtet hat, wird das ohne weiteres fühlen; es läßt sich aber 
auch logisch beweisen: die Kirche als Objekt juristischer Behandlung ist 
je nach den verschiedenen Volkstemperamenten, Traditionen, Bildungs- 
stufen ziemlich überall etwas anderes, sogar innerhalb einzelner Staaten 
wovon sich jeder schnell überzeugt, der etwa vergleicht, wie das gleiche 
Staatskirchenrecht z. B. in Kalabrien oder Sardinien und in Mailand, in 
Tirol und in Galizien oder Dalmatien faktisch aussieht. Die Paragraphen 
sind unter Umständen gleichlautend — das positive Recht ist ein anderes, 
Diese Erwägung, die sich für alle Gebiete des Staatsrechts aufdrängt und 
ja schon lange in ihrer prinzipiellen Tragweite gewürdigt worden ist (auch 
hier ist bekanntlich LABAnD bahnbrechend aufgetreten), durfte ROTHEN- 
BÜCHER nicht entgehen. Selbst unter Zugrundelegung aller positivrecht- 
lichen Regelungen der Trennung von Staat und Kirche könnte niemals 
durch Vergleichung ein Prinzip der Rechtsordnung, die da überall eingreift 
gewonnen werden, weilder Kirchenbegriff ziemlich überall ein mehr 
oder weniger verschiedener ist. 
ROTHENBÜCHER hätte sich von der Illusion, auf die er seine Methode 
aufbaut, leicht befreien können, wenn er seiner Untersuchung eine juri- 
stische Definition des Begriffs Kirche hätte vorhergehen lassen. Statt dessen 
gibt er in einer umfangreichen Einleitung eine „Geschichte des 
Trennungsgedankens* und will sich „so die Erkenntnis der Voraus- 
setzungen jener Rechtsordnung erleichtern“. In jeder staatsrechtlichen 
Untersuchung ist eine geschichtliche Einleitung nützlich, aber sie kann nur 
dann eine wirkliche dogmatisch verwertbare Einführung bilden, wenn die 
Wertung der juristischen Grundbegriffe, mit denen gearbeitet wird, un- 
zweifelhaft feststeht. Keinenfalls darf sie eine bestimmte klare Definition 
ersetzen, wenn es sich um einen Begriff so labilen Inhalts wie das Wort 
Kirche handelt. Daß ROTHENBÜCHER diese spezifisch juristische Gedanken- 
arbeit auch für sich selbst unterlassen hat, zeigt sich darin, daß er dieses 
Wort in fortwährend, mitunter auf einer Seite mehrmals wechselnder Be- 
deutung verwendet. Bald ist ihm Kirche die übersinnliche Gemeinschaft 
der Gläubigen, bald die Genossenschaft der Mitglieder einer bestimmten
	        
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