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Konfession, bald die Organisation solcher Mitglieder in einem bestimmten
Staat. Der Leser findet ja bei gehöriger Aufmerksamkeit aus dem Zusam-
menhang stets heraus, was sich ROTHENBÜCHER jedesmal gerade unter
Kirche vorstellt, aber der Autor selbst verwickelt sich dadurch in Unklar-
heiten; ein solches Wechseln ist eben ein methodischer Fehler, der eine
Untersuchung, die juristisch sein will, notwendig zur Unzulänglichkeit ver-
dammt.
Es ist eine Selbsttäuschung, wenn man glaubt, das positive Recht in
Fragen des Staatskirchenrechts aus der gesetzlichen Regelung allein heraus-
lesen zu können. Literarische Materialsammlung genügt da überhaupt nicht,
wie ja ganz allgemein das Aneinanderreihen von Beobachtungen nicht ge-
nügt, um daraus wissenschaftliche Schlüsse zu ziehen; in den Geisteswissen-
schaften so wenig wie in den Naturwissenschaften. Stets muß logische Kritik
hinzukommen, die sich ein Forscher nur durch Erfahrung erwerben kann.
Bedeutende Gelehrte sind schon daran gescheitert, daß sie dies übersahen.
Die ganze Urrechtsforschung z. B., ja die rechtsgeschichtliche Forschung
überhaupt, krankt daran, daß sie gern aus Beobachtungen ohne weiteres
Schlüsse zieht. Wenn RO'TTHENBÜCHER seine rechtsvergleichenden Beobach-
tungen an Ort und Stelle gesammelt hätte, anstatt sie aus zweiter und dritter
Hand zu nehmen, so hätte sich bei ihm einige nützliche Erfahrung gewiß
eingestellt. Er würde dann jedenfalls empfunden haben, daß er sein Ma-
terial, seine positiven Grundlagen, sich recht willkürlich zusammengesucht
hat. Ganz beiseite gelassen sind die mohammedanischen Staaten mit ihrem
ausgesprochenen Trennungssystem allen nichtmohammedanischen Religionen
gegenüber; die Trennungsprinzipien, die bezüglich der protestantischen,
griechisehen und armenischen Kirchen in katholischen Staaten herrschen,
die ein katholisches Staatskirchentum durchgeführt haben; die Trennungs-
grundsätze, die der jüdischen und anderen Religionen gegenüber gelten.
Gerade die Kenntnis dieser Verhältnisse hätten eine kritische Wertung der
Institutionen, die ROTHENBÜCHER heranzieht, erleichtern können.
Damit komme ich auf die Methode, die ROTHENBÜCHER tatsächlich an-
gewendet hat. Ein kluger Kopf — das ist ROTHENBÜCHER ohne Frage —
wird schon durch den bloßen Zwang, ein reiches Beobachtungsmaterial um
einen einheitlichen Gesichtspunkt zu gruppieren, dahin gebracht, Kritik und
gewisse Erfahrungssätze anzuwenden. ROTHENBÜCHER hat denn auch gar
nicht, wie er will und, scheint mir, es zu tun glaubt, die Beobachtungen,
die er für das positive Staatskirchenrecht verschiedener fremder Staaten
hält, zur Grundlage seiner Vergleiche gemacht. Er hat vielmehr unwill-
kürlich alle diese Beobachtungen durch das Sieb der Kritik gehen lassen;
und diese Kritik ist diktiert durch einen ganz bestimmten vorgefaßten Er-
fahrungssatz, mit dem er unabhängig an das Material herangetreten ist,
Diesen Erfahrungssatz hat er übernommen aus den Parteigrundsätzen der
päpstlichen Kirche. Der katholische kirchenpolitische Standpunkt ist die
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