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nen. Was weiter den Begriff der Tatbestandswirkung anlangt, so vermißt
man bei STEIN eine scharfe Abgrenzung gegenüber dem Begriff der ma-
teriellen Rechtskraft; eine schulgerechte Definition hat er nirgends versucht,
was ja auch weiter kein Unglück wäre, wofern nur die Grenzlinie gegen-
über dem Parallelbegriff wenigstens anschaulich geschildert wäre; aber
auch das ist m. E. nicht geschehen; wenn STEIN S. 94 einander gegenüber-
stellt den Fall, daß das bürgerliche Recht zum Moment seiner Tatbestände
die Tatsache des Urteils selbst macht (Tatbestandswirkung) und den Fall,
daß es zum Moment seiner Tatbestände „die im Urteile entschiedene
Rechtsfolge“ macht, so muß man dagegen einwenden, daß dies überhaupt
kein rechter Gegensatz ist, da die beispielsweise in einem Strafurteil aus-
gesprochene Verurteilung des Angeklagten zu einem Jahr Gefängnis wegen
Diebstahls ebenso die Tatsache des Urteils selbst wie auch die in dem Ur-
teil „entschiedene Rechtsfolge“ darstellt; und wenn er S. 95 den Gegensatz
dahin formuliert, daß bei der materiellen Rechtskraft es sich handle um
„die Bindung an den Inhalt einer früheren Entscheidung“, bei der Tatbe-
standswirkung hingegen um „die Berücksichtigung der Tatsache, daß ein
Urteil bestimmten Inhalts ergangen ist“, so kommt das der richtigen Er-
kenntnis allerdings näher als die erste Formulierung, gestattet aber doch
wohl noch immer den Einwand, daß man nicht recht weiß, was unter der
Bindung an den „Inhalt“ der früheren Entscheidung gemeint sei, und
scheint mir richtig erst dann zu werden, wenn statt der Worte „Inhalt der
Entscheidung“ die Worte „Feststellung der diese Entscheidung rechtferti-
genden Tatsachen und Tatbestände“ gesetzt werden. So aber will es STEIN
offenbar nicht verstanden wissen; denn die Beispiele, die er für die Tat-
bestandswirkung bietet, sind durchweg von der Art, daß eine ausdrückliche
gesetzliche Vorschrift das Vorbandenseln eines bestimmten Staatsaktes zum
Tatbestandselement eines andern macht, also entsprechend den Fällen, die,
wie vorhin hervorgehoben, bei reinen Feststellungsurteilen allein vorkom-
men können; dagegen verweist Stein die diesen Fällen vorhin gegenüber
gestellte Gruppe von Tatbestandswirkungen rechtsgestaltender Staatsakte
ausdrücklich unter den Begriff der materiellen Rechtskraft, der bei ihm
also ein viel weiteres Anwendungsgebiet findet als nach unserer Auffassung.
Daß aber diese die richtigere ist, scheinen mir STEINs Ausführungen selbst
durch zwei Gründe zu beweisen; einmal nämlich ergibt sich aus diesen
Ausführungen, daß das, was Stein m. E. zu Unrecht unter den Begriff der
materiellen Rechtskraft statt unter den Begriff der Tatbestandswirkung
bringt, durchweg nicht den allgemeinen Grundsätzen über die materielle
Rechtskraft folgt, nach welchen im ‘allgemeinen eine Erstreckung der Fest-
stellungawirkung auf Behörden anderer Art zu verneinen ist, sondern viel-
mehr den Grundsätzen über die Tatbestandswirkung, die für alle staatlichen
Organe verbindlich ist (vgl. für rechtsgestaltende Verfügungen der freiwil-
ligen Gerichtabarkeit 9. 99, für dieselben im Verbältnis zum Zivilprozeß-