Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

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Gründen nichtig sein, z. B. wegen Formfehlers und zugleich wegen Geistes- 
krankheit einer Partei, daß sie aber andrerseits behauptet, eine Anfech- 
tung sei gegenüber einem nichtigen Geschäft nicht möglich. Man ersieht 
sofort, daß gleichartige Fragen auch im öffentlichen Recht auftauchen; es 
sei nur erinnert an die Frage, ob gegen einen absolut nichtigen Staatsakt 
das ordentliche Rechtsmittel (als solches, d. h. ohne die von mir, System 
der rechtsgeschäftlichen Staatsakte S. 207 und Grundzüge eines allgemeinen 
Teils des öffentlichen Rechts, in Annalen 1912 S. 212, versuchte Umdeutung 
dieses sogenannten ordentlichen Rechtsmittels in eine durch die Praxis ge- 
schaffene Feststellungsklage auf Nichtbestehen eines Verwaltungsakts) be- 
grifflich möglich ist. 
Es ist zunächst zu prüfen, ob die Angriffe Kıpps gegen die „natur- 
wissenschaftliche“ oder „körperliche“ Auffassungsweise der herrschenden 
Meinung theoretisch begründet sind. Schon das will mir zweifelhaft er- 
scheinen. — Man würde bei genauerer Erörterung nicht umhin können, 
zu beginnen mit der prinzipiellen Frage, ob eine an naturwissenschaftliche 
Begriffe sich anlehnende juristische Begriffsbildung schlechthin zu verwerfen 
sei. Wenn ich daran denke, wieviel wir trotz aller Unklarheit, die da noch 
vorhanden sein mag, in der Lehre von der juristischen Person dem Organ- 
begriff verdanken, so möchte ich meinen, daß diese Frage verneint werden 
muß. — Aber handelt es sich in den von Kıpp herangezogenen Fällen 
überhaupt um einen Fehler, der daraus entsteht, daß man die juristischen 
Wirkungen „körperlich“ auffaßt? Bezüglich der Nichtigkeitsfälle ist das 
m. E. zu verneinen. Wenn der Jurist von einer Willenserklärung sagt, sie 
sei nichtig, so will er damit ausdrücken, daß, obschon gewisse Worte ge- 
sprochen worden sind, doch alles so anzusehen ist, als ob jene Worte nicht 
gesprochen worden wären; Nichtigkeit ist also das „juristische Nichts“ ge- 
rade im Gegensatz zu einem in der sinnlich wahrnehmbaren Welt tatsäch- 
lich Vorhandenen, und man kann daher nicht gut behaupten, daß der Jurist, _ 
der sich in einen solchen Gegensatz zu der sinnlich wahrnehmbaren Welt 
setzt, einer „körperlichen“ Auffassung der Rechtsvorgänge huldige. Faßt 
man aber die Nichtigkeit als „juristisches Nichts“ auf, dann bestehen zwar 
keine Bedenken dagegen, einen bestimmten Vorgang in der Außenwelt, 
etwa das nicht unterschriebene „Testament“ eines Geisteskranken, aus 
dem doppelten Grund des Formmangels und der Geschäftsunfähigkeit zu 
einem juristischen Nichts zu erklären, aber es erscheint begrifflich unmög- 
lich, von einer Aufhebung dieses juristischen Nichts durch Anfechtung zu 
sprechen, und der angebliche Widerspruch der herrschenden Meinung bei 
dieser Beantwortung beruht gerade auf einer Berücksichtigung der Ver- 
schiedenartigkeit beider Fälle. — Und gleiches gilt aus anderm Grund von 
dem Widerspruch, dessen sie sich nach Kıpp bei Beurteilung der doppelten 
Rechtsbegründung schuldig gemacht haben soll. Bei dem von Kıpp behaup- 
teten mehrfachen Erwerb von Eigentum durch Uebereignung und durch
	        
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