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Schiedsvertrage immanent sei, ist von verschiedenen Theoretikern wider-
sprochen worden. Seine Richtigkeit wird kein Praktiker ernstlich bestreiten
wollen. Ueber allen Paragraphen und Vertragsartikeln steht die Seibster-
haltung des Staates. Ich habe jenen Satz in Anwendung auf die Prisen-
hofkonvention, diesen weitgehenden Schiedsgerichtsvertrag, in meinem
Buche „Deutsche Prisengerichtsbarkeit* (1911) S. 200 vertreten: „Jeder
Staatsvertrag steht unter der Interessen- und Eihrenklausel, mag sie be-
sonders aufgenommen sein oder nicht, ja, selbst: dann, wenn sie bei den
Verhandlungen, die zum Vertragsschlusse führen, oder im Vertrage selbst
ausdrücklich abgelehnt worden ist. Jeder souveräne Staat will sich, und
binde er sich auch durch ungezählte Verträge mit anderen souveränen
Staaten, stets der nächste sein können und nimmer durch einen Staats-
vertrag seine Erdrosselung oder Ehrlosmachung legalisieren.“ „Die Unab-
hängigkeits- und Ehrenklausel sowie der Vorbehalt, daß die wesentlichen
Interessen eines Staates durch die Ausführung des Vertrags nicht berührt
werden dürfen, wohnt als essentiale negotii jedem Staatsvertrag inne; jeder
Stipulation zwischen Staaten ist der beiderseitige Vorbehalt immanent, daß
die auf Selbstbindung beruhende Gebundenheit der kontrahierenden Staaten
mit dem Gebot ihrer Selbstbehauptung nicht in Konflikt treten darf.“ Und
ın der „Marine-Rundschau“ 1912 S. 631 schrieb ich: „Der Staat hat sich
durch die Konvention nicht verpflichtet, unter allen Umständen zur Reali-
sierung eines Prisenhofurteils bereitwillig die Hand zu bieten, gleichviel,
ob es seine Ehre und seine Lebensinteressen antastet oder nicht. Diese
Verpflichtung ist nicht für alle Fälle eingegangen, wo der Staat, wollte er ihr
genügen, seine höchsten Zwecke aufs Spiel setzen und sich selbst vernichten
müßte.“ Dagegen hat sich THEODOR NIEMEYER (Kiel) in der „Marine-Rund-
schau“, August 1912, S. 1098 gewandt: „Die Prisenhofkonvention ist in dem
Bewußtsein unterzeichnet worden, daß in ihrem Bereich die Ehrenklausel
und jeder ähnliche Vorbehalt entbehrlich und zweckwidrig sein würde.
Es würde eine Treulosigkeit und Rechtswidrigkeit sehr schlimmer Art sein,
wenn einer der beteiligten Staaten mittels „juristischer Konstruktion® auf
dem Umwege über Schiedsvertragsbegriff und „immanente Ehrenklausel“
sich seinen Verpflichtungen entziehen würde. Die deutsche Völkerrechts-
wissenschaft muß den Gedanken dieser Möglichkeit von vornherein völlig
abschütteln, nicht nur damit der Vertragskredit und das politische Ansehen
des Deutschen Reiches nicht geschädigt werde, sondern vor allem nach
dem Gesichtspunkt innerer Wahrhaftigkeit und unbeugsamer Rechtstreue.“
— Für irgendwelche Treulosigkeit oder Rechtswidrigkeit zu plädieren, für
Umwege und Pflichtverletzungen ein Wort zu verlieren, lag und liegt mir
fern; vielmehr habe ich gegenüber trügerischem Schein und gefährlicher
Selbsttäuschung nachdrücklich Klarheit und Wahrheit gefordert. Die Prisen-
hofkonvention — das vergesse man nicht — ist erst ein unverbindlicher
Entwurf. Solange sich die deutsche Völkerrechtswissenschaft nicht einhellig