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Revue du droit public et de la science politiqueen
France etäl’etranger. Tome 28, 1911; 880 p.
Im Gegensatz zu den meisten kontinentalen Staaten, in denen wir
den Grundsatz, daß die Initiative von Finanzgesetzen bei der zweiten,
der Volkskammer ruht, fast ausnahmlos durchgeführt finden, ist in
den Vereinigten Staaten von .Amerika die Initiative zu einem großen
Teil praktisch vom Repräsentantenhaus auf den Senat überge-
gangen. Man muß es GASTON Jize Dank wissen, daß er es unter-
nommen hat, in seiner Abhandlung „les pouvoirs financiers du senat des
Etats-Unis“ (p. 1—60) den Gang dieser eigenartigen Entwicklung und ihre
Gründe darzustellen. Sie erblickt er hauptsächlich in der vollkommenen
Indifferenz des amerikanischen Volkes gegenüber dem Parlament, die in
Verbindung mit der Tatsache, daß der Senat gleichfalls aus Wahlen
hervorgeht, dem Repräsentantenhaus einen bedeutsamen Rückhalt entzieht,
und weiter darin, daß der Senat durch seine Organisation die Elemente
größerer Stärke in sich trägt. Der Redefreiheit jedes Mitgliedes des Senates
und dem dadurch bedingten Verantwortlichkeitsgefühl des Einzelnen stellt
Jeze die Alleinherrschaft des Speakers und einige seiner Freunde im Re-
präsentantenhause, der politischen und moralischen Reife der Senatoren
(die zum Teil selbst lange einer Volksvertretung angehört hatten, bevor sie
in den Senat, das Ziel politischen Ehrgeizes, eingetreten sind), die geringere
Erfahrung und das geringere moralische Niveau „der Repräsentanten“ ge-
genüber (S. 3, 4). Dieses mindere Verantwortlichkeitsgefühl mache es
verständlich, wenn das Repräsentantenhaus in der Regel auch den ein-
schneidensten Amendements der von ihm ausgehenden Finanzgesetze gegen-
über sich nur selten dazu aufraffen könne, das vom Senat in abgeänderter
Form wieder vorgelegte Gesetz abzulehnen. Vielmehr pflege das Haus sich
der Auffassung der in solchen Fällen eingesetzen gemischten Kommissionen
anzuschließen, die ihrerseits wieder den in ihnen vertretenen Senatsmitglie-
dern keinen oder nur einen unerheblichen Widerstand entgegenzusetzen
wagten, aus Furcht, eine Obstruktion des Senates zu entfesseln.
Die in dem Eisenbahnerstreik von 1910 brennend gewordene Frage nach
dem Recht der Beamten zu Koalition und Streik gibt MARCEL SIBERT Anlaß
zu einer — teilweise das französische und englische Recht in Parallele be-
handelnden — Studie „principes generaux sur la situation juridique des fonc-
tionnaires anglais“ (p. 209—271). Aus der interessanten Arbeit, die zugleich
den Wert derRechtsvergleichung auch auf dem Gebiete
des Staatsrechts in helles Licht setzt, möchte ich als besonders erwäh-
nenswert hervorheben die Abschnitte, die von dem erhöhten, den Beamten
gewährten Schutz handeln. Er kann in gewissen Fällen zu einem Ausschluß
jeglicher Haftung bei Verletzung von Privatpersonen führen, andererseits
aber auch wieder den Beamten durch Einschränkung oder gar Aufhebung
eines der wichtigsten staatsbürgerlichen Rechte, des Wahlrechts, wesentlich