— 32 —
Anzilotti, Volontä e responsabilitä nelle stipulazione
deitrattatiinternazionali, Rom 1910. 46. S.
In dieser, zuerst in der Rivista di diritto internazionale, Bd. V (1910)
S. 1-46 erschienenen Abhandlung nimmt ANZILOTTI in scharfsinniger
und auch an den zahlreichen Stellen, wo der Widerspruch des Lesers heraus-
gefordert wird, fesselnder Weise Stellung zu der Frage der völker-
rechtlichen Bedeutung, die staatsrechtlichen, die Befugnis
des Staatshaupts zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge einschränkenden
Normen zukommt.
Wiewohl er die beiden bisher aufgestellten Theorien (ius repraesen-
tationis omnimodae des Staatshaupts einerseits, Bindung an staatsrechtliche
Einschränkungen mit Wirkung auch gegenüber den Mitkontrahenten an-
dererseits) ablehnt, erkennt er an, daß eine Erklärung des Staatschefs ohne
Vorliegen der verfassungmäßig notwendigen Mitwirkung des Parla-
ments keine Erklärung des Staatswillens darstellt. Doch folgert er hieraus
nicht, wie vom Standpunkte der Logik aus gefordert werden müßte, daß
bei Fehlen dieser Erklärung überhaupt kein Vertrag zustande gekommen
und somit auch keine völkerrechtliche Haftung gegeben sein kann, viel-
mehr sucht er zu beweisen, daß, eben weil die Bildung des Staatswillens
ein Internum des Staates sei, kein anderer Staat, ohne sich einer unzu-
lässigen Intervention schuldig zu machen, die Befugnis besitze, in eine
Prüfung in der Richtung einzutreten, ob die im Verfassungsrecht des Mit-
kontrahenten aufgestellten Voraussetzungen erfüllt seien. Nur ob das
Staatsorgan, das eine Erklärung im Namen des fremden Staates abgibt,
hierzu auch legitimiert sei, dürfe von dem Vertragsgegner geprüft werden.
Eine Einschränkung erleidet aber auch diese Feststellung durch ANZILOTTIS
Auffassung von der kraft Völkerrechts präsumtiven Vertretungsmacht des
Staatshauptes, die nur durch ausdrückliche, widersprechende Erklärung
des betreffenden Staates wiederlegt werden könne. Nun erkläre aber, so
deduziert A. weiter, dieser „präsumtive Vertreter“ durch die Ratifikation,
daß die staatliche Willensbildung ordnungsmäßig zustande gekommen sei
und es sei daher unzulässig, an diesen Worten zu deuteln. Wohl aber sei,
wenn sich nachträglich dennoch der Mangel einer verfassungsmäßigen
Willensbildung herausstelle, ein Anspruch wegen Verletzung des Völker-
rechts gegen den Staat gegeben, dessen Haupt die unrichtige Erklärung
abgegeben habe, ein Anspruch, der als Unrechtsfolge die Gültigkeit
des an sich ungültigen Vertrags nach sich ziehe.
Die vorstehend skizzierten Ausführungen AnZILOTTIs haben eineeingehende
und in fast‘ allen Punkten zutreffende Kritik durch SCHOEN im 5. Band
der Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht, (1911) S. 400—431,
erfahren. Dort wird insbesondere und mit Recht darauf hingewiesen, daß
die Theorie des italienischen Gelehrten sich mindestens im Ergebnis mit
der Auftassung derjenigen deckt, die für den Staatschef ein unbeschränktes