Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

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die herrschende Lehre in Zweifel ziehen, könnte vielleicht ent- 
gegnet werden, daß sie nur für ein bestimmtes Gebiet oder gar 
nur für einzelne Materien von Wert seien. WEYR und KELSEN 
sehen von der Gestaltung eines bestimmten positiven Rechtes ab. 
Sie gelangen durch eine methodologische Spekulation zu dem Er- 
gebnis, die übliche Unterscheidung des öffentlichen und des pri- 
vaten Rechtes sei eine unzweckmäßige Konstruktion, deren man 
nicht bedürfe, um irgend ein positives Recht in befriedigender 
Weise juristisch zu erfassen und darzustellen. Eine Verwertung 
und Erprobung dieser Erkenntnis für das Verständnis oder die 
Anwendung positiver Rechtssätze, namentlich solcher, welche mit 
den Begriffen öffentliches Recht und privates Recht operieren, 
hat leider keiner der beiden Autoren versucht. 
Wie ich bereits in der Oesterreichischen Zeitschrift für öffent- 
liche und private Versicherung, II, 362 und in GRÜNHUTS Zeit- 
schrift, XXXIX, 310, in einem hier nicht weiter erwähnenswerten 
Zusammenhang ganz kurz angedeutet habe, ist auch nach meiner 
Ueberzeugung die Lehre von der Teilung des gesamten Rechtes 
in Öffentliches und privates Recht zu verwerfen. Dies gilt nicht 
nur für irgend ein positives Recht, sondern für das Recht wohl 
aller modernen Kulturstaaten. Die Lehre bedeutet nicht nur eine 
unzweckmäßige Konstruktion, sondern sie hat in der Regel auch 
materielle Unrichtigkeiten zur Folge, indem geltende Rechts- 
sätze dem Dogma zuliebe anders ausgelegt werden, als sie aus- 
zulegen sind. Denn das Dogma gestattet nur die Wahl, einen 
Rechtssatz ganz entweder dem einen oder ganz dem anderen 
Gebiet zuzuweisen, woraus dann sofort eine Menge weiterer Fol- 
gerungen für die Interpretation und die Lückenausfüllung abge- 
leitet werden, während es doch sicherlich der richtig verstandenen 
Rechtsordnung — nach JUNG. beispielsweise dem Vertrauen der 
Rechtsgenossen auf den Rechtssatz — entsprechen kann, wenn 
bloß zu einem Teil die Konsequenzen der einen Art, zum anderen 
Teil die entgegengesetzten Konsequenzen gezogen werden. 
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