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sten Probleme mit hohlen und verschwommenen Phrasen meistern
zu können glauben. Ebensosehr überragt das Buch an inner-
lichem Gehalt, am Wert seiner Gedanken, viele Arbeiten der
neuen Richtung. Wenn es auch, wie ich darzulegen versucht
habe, manches Wichtige außer acht gelassen hat, und wenn
darum auch vielen und gerade den hauptsächlichsten Ergebnissen
nicht wird zugestimmt werden können, so hat es doch zweifellos
der Wissenschaft bleibende Werte geschaffen.
So ist zunächst der Gedanke, der Geltungsgrund des Rechtes
sei die gesellschaftliche Tatsache, daß im Zusammenleben der
eine vom andern ein gewisses Maß von Rücksicht verlange und
nötigenfalls mit Gewalt durchsetze, gewiß außerordentlich frucht-
bar, wenn wir den Ausdruck Geltungsgrund nicht im Sinn einer
Normwissenschaft, sondern im historisch-soziologischen Sinn ver-
stehen und jenen Gedanken daher nicht als Konstruktion, sondern
als Hypothese auffassen. Zwar bleibt, wie schon einmal ange-
deutet wurde, unerklärt, wieso der Begriff des Unrechts vor jenem
des Rechts entstehen konnte. Auch reicht jene Hypothese wohl
schwerlich aus, um uns auch nur das ganze „Privatrecht“ oder
„jJus inter singulos“ soziologisch zu erklären. Endlich ist der
Gewinn, den die soziologische Hypothese für die praktische Rechts-
anwendung abwirft, für sich allein kaum von sehr hohem Wert.
Denn der Maßstab, welcher dem Richter zur Ausfüllung echter
Rechtslücken oder gar zur Beurteilung der Frage an die Hand
gegeben wird, ob gegen geltendes Gesetzes- oder Gewohnheits-
recht entschieden werden dürfe, ist kaum sicher genug, um für
die juristische Praxis im allgemeinen brauchbar zu sein. Den-
noch ist meines Erachtens JUNGs Gedanke von größter Bedeutung.
Er vermag viele Rechtssätze unserem Verständnis näher zu brin-
gen. Er dient einer geistvollen und höchst beachtenswerten
Theorie vom Präjudizium zur Grundlage. Vor allem aber kann
er vielleicht, mit anderen Erkenntnissen in Beziehung gebracht,
einen äußerst schätzenswerten Baustein zum Bau einer neuen, das