Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 30 (30)

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duen zeige, die einen Willen haben und als Rechtssubjekt handelnd auf- 
treten, (wobei er übersieht, daß auch diese Rechtssubjektsqualität eine vom 
Rechte verliehene ist) habe noch niemand die Staatsperson erblickt, deren 
Wille ein von dem ihrer sämtlichen Angehörigen verschiedener sei, und 
die daher auch nicht existiere”. 
Betrachte man die Verhältnisse, so, wie sie tatsächlich liegen, so ver- 
möge man lediglich die Feststellung zu treffen, daß zwischen den ver- 
schiedenen Angehörigen dessen, was man als Staat bezeichne, eine tat- 
sächliche Beziehung bestehe, die in dem Gegensatz zwischen Herrschen- 
den und Beherrschten ihren Ausdruck finde und auf keinerlei Recht des 
Herrschenden gestützt sei. Sobald also in einer Gesellschaft — gleich- 
gültig, ob diese an ein Territorium gebunden sei oder nicht — eine Person 
oder Personenmehrheit eine, in rein materieller, moralischer, religiöser, 
geistiger oder wirtschaftlicher Beziehung größere Stärke besitzt, als die 
andern, läge bereits ein Staat vor. Es wäre also nicht nur die Horde 
(dies Beispiel nennt D. selbst), sondern wohl auch die Beziehung zwischen 
dem Gutsherrn und seinen Knechten, vielleicht sogar der „Sklavenstaat“ 
vergangener Zeit als Staat im Sinne des Verfassers auszusprechen. Da nun 
aber der Herrschende an sich keinerlei Recht zur Herrschaft besitze, so 
werde sein Wille und all sein Tun erst und nur dann legitim, wenn sie in 
Einklang ständen mit der regle de droit, die sich (eben wegen der Gleich- 
heit zwischen Herrscher und Beherrschten, die ja nur durch das Moment 
der verschiedenen Stärke voneinander getrennt seien), auch auf gouver- 
nants und gouvernes gleichmäßig erstrecke. 
Was versteht nun aber D. unter dieser „Regel“ und was verlangt er, 
damit Wille und Handlungen von Herrschenden und Beherrschten der 
regle de conduite conform seien ? 
Soziologische Untersuchungen, die ihn als Anhänger der DURKHEIM- 
schen Lehre von der mechanischen und organischen Solidarität (D. spricht 
gewöhnlich von solidariteE par similitudes und solidarite par division du 
travail) erkennen lassen, führen D. zur Annahme des Satzes, daß der 
Mensch als notwendiges Glied der Gesellschaft und als Träger von 
Rechten und Pflichten nur um dieser Gesellschaft willen zur 
Anerkennung einer Verhaltungsregel gezwungen sei, die sich dahin formu- 
lieren lasse: „Tue nichts, was der gesellschaftlichen So- 
lıdarität in einer ihrer beiden (eben erwähnten) Erschei- 
” In einem früheren Werk (le droit social, le droit individuel et la 
transformation de l’Etat 1908 p. 150) hat er den Staat als Person für tot 
oder sterbend erklärt. Dazu meint LARNAUDE („les methodes juridiques, 
„lecons faites au Collöge libre des sciences sociales en 1910, Paris 1911, 
p. 12): „C’est le Cr&puscule des Dieux, le Cr6puscule de l’Etat qu’un nou- 
veau Wagner viendra bientöt sans doute mettre & la scene.“
	        
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