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schehen ist, in öder Wortklauberei und -verdrehung jede tiefere Bedeutung
absprechen wollen. In Wirklichkeit besagen die verschiedenen Aeußerungen
des Zaren nichts anderes als die feierliche Erklärung, Finnland als „place
au rang des nations“ (wie Alexander I. sich in seiner Abschiedsrede vom
18./6. Juli 1809 ausdrückte, mit der er den finnischen Landtag schloß), also
als Staat® anzuerkennen. Alexander I. hätte, als er antizipierend an die
Ordnung Finnlands ging, und nachdem er einmal entschlossen war, dem
Lande staatliche Autonomie zu gewähren, ihm eine beliebige Verfassung
neu schaffen können. Wohl aus praktischen Erwägungen, insbesondere
um an Bestehendem anzuknüpfen, tat er dies nicht, sondern bestimmte er,
daß die Verfassung Schwedens, dessen Bestandteil Finnland bisher gewesen
war, auch weiterhin in Finnland Geltung haben sollte. Während aber
Schweden aus einer Reihe von Landesteilen, zu denen auch Finnland ge-
hörte, bestanden hatte, waren — was bisher noch nirgends zum Ausdruck
gelangt ist — nunmehr die schwedisch verbleibenden Gebiete in Wegfall
gekommen, so daß für die hier fraglichen Verhältnisse Finnland staats-
rechtlich völlig die Stelle einnahm, die vorher Schweden einschließlich
der Provinz Finnland inne gehabt hatte. — Weiter aber enthielten die Er-
klärungen Alexanders eine Selbstbindung und Selbstbeschränkung des Mon-
archen, die natürlich nicht nur für ihn, wie von manchen russischen
Schriftstellern behauptet wird, sondern für alle seine Nachfolger verbind-
liche Kraft haben muß und auch dann haben müßte, wenn diese nicht
sämtlich, auch Nikolaus II., inhaltlich entsprechende Erklärungen bei ihrer
Thronbesteigung abgegeben haben würden ’”.
Für die Entscheidung dieser Frage ist es natürlich völlig gleichgül-
tig, ob man Finnland als Staat auffaßt oder nicht. Letztere Frage hat viel-
mehr rein theoretische Bedeutung. Zu ihrer Beantwortung gelangt man
leicht dann, wenn man sich vor Augen hält, daß alle Handlungen, die von
dem Zaren für Finnland vorgenommen werden, von ihm qua Großfürst von
Finnland und nicht qua Zar aller Reußen ausgehen müssen. Das fand —
vor den auf Vernichtung der staatlichen Selbstständigkeit Finnlands ge-
richteten Bestrebungen — seinen deutlichen Ausdruck darin, daß alle dem
Zaren zur Sanktion vorgelegten Gesetze durch den finnischen Ministerstaats-
sekretär an ihn gelangten, nachdem sie von dem finnischen Landtag ange-
nommen waren. „Wenn somit durch übereinstimmende Beschlüsse des
6 Vgl. auch BoRNHAK a. a. O. S. 21, ErıcH, Droit de 1a Finlande p. 2.
? Wann der Staat Finnland entstanden ist, läßt sich als historische
Tatsache juristisch nicht feststellen. Jedenfalls bestand er aber schon, als
der Treueid der Stände geleistet wurde, den ich, will man nicht zu der
Annahme eines pactum unionis et subiectionis gelangen, lieber nicht als
den einen Teil eines zwischen Herrscher und Volk geschlossenen Vertrags
ansehen möchte.
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